Die Kunst des Tarot: Wie uns der Blick in die Karten helfen kann
Wir gehen der alten und traditionsreichen Kartenlegekunst - auch Tarot genannt - auf die Spur und fragen Kartenlegerin Linda Hauptmann über ihre Arbeit als intuitive Kartenlegerin.
Tarotkarten nur auf ihre zukunftsweisende Wirkung zu beschränken greift definitiv zu kurz. Denn die archetypischen Symbole sprechen auch das Unterbewusstsein auf eine Weise an, die Therapeuten nutzen können. Dabei kann das Lesen von Karten Aufschluss über unbewusste Tendenzen der Vergangenheit, die aktuelle Situation sowie (mögliche) zukünftige Ereignisse geben - und Karten können auch als Wegweiser für Partnerschaftsfragen dienen.
Was bedeutet genau Kartenlegen und wie unterscheidet es sich von anderen Techniken der Zukunftsdeutung?
Linda Hauptmann: "Liebe Sara, zuerst einmal: ich nutze bevorzugt das Tarot. Zum Kartenlegen allgemein gehören noch weitere Kartensysteme, wie das Lenormand [benannt nach der Wahrsagerin Marie Anne Lenormand, Anm.], Kipperkarten und Orakelkarten. Das Tarot in der Form, wie wir es heute kennen, wird seit über hundert Jahren verwendet. Die Karte, die diesen Artikel ziert, kommt aus dem 1910 herausgebrachten Rider-Waite-Smith Deck, welches aufgrund seiner klaren und schönen Bildsprache auch mein Allzeit-Favorit ist."
Was bedeutet das Tarotlegen für Sie?
Linda Hauptmann: "Die Karten stellen für mich eine Projektionsfläche dar. Beim Mischen und Auswählen der zu ziehenden Karten verbinde ich mich mit meiner Fragestellung. Nach dem Umdrehen der Karten habe ich meine Antworten vor mir. Nach vielen Jahren des Legens decken sich diese meist mit dem, was ich ohnehin schon gespürt habe. Aber oft zeigen die Karten noch weitere Nuancen auf, oder helfen, zeitliche Abläufe besser zu strukturieren."
Was hebt das Tarot von anderen Techniken zur Zukunftsdeutung ab?
Linda Hauptmann: "Ganz klar seine Tiefe. Mit 78 Karten wird jedes menschliche Thema und Befinden erfasst. Nichts kann nicht durch die Karten erzählt werden. Das ist natürlich ganz anderes bei einem rein binären System wie dem Pendel, oder den 24 Runen. Die mag ich mit ihren starken Energien zwar auch sehr, aber für feinere und psychologisch orientiertere Fragestellungen sind die Tarotkarten mit ihrer Bandbreite definitiv das Tool meiner Wahl."
"Ich habe schon als Kind registriert, dass ich sehr feine Antennen für mein Umfeld habe."
Was waren Ihre ersten spirituellen Erfahrungen? Wie haben Sie Ihre Gabe entdeckt?
Linda Hauptmann: "Leider kann ich dir an der Stelle keine 'spooky Erweckungsgeschichte' erzählen. Aber Spiritualität soll ja auch nicht reißerisch sein. Ich habe schon als Kind registriert, dass ich sehr feine Antennen für mein Umfeld habe und auch auf Distanz erspüren kann, wie es meinen Freunden und meiner Familie geht. Später kam dann bewusst das Interesse für Magie, Divination und dergleichen hinzu. Mehr und mehr habe ich mich getraut, mich auf meine Gaben - Hellfühligkeit, Intuition, hohe Empathie - zu verlassen."
Und welche Rolle spielte das Tarot dabei?
Linda Hauptmann: "Das Tarot hat mir dann mit 16 erstmals die Möglichkeit eröffnet, mich auch mit Menschen außerhalb meines direkten Umfeldes zu verbinden. Das hatte damals natürlich eher einen spielerischen Charakter. Gute zwanzig Jahre später unterstützt mich nun auch einfach die Lebenserfahrung in meinen Tarotberatungen: viel Verständnis für die menschliche Psyche, Erfahrung mit Beziehungsdynamiken, Erkenntnisse über das Elternsein, der Umgang mit Verlusten, allgemein Alltagsthemen des Erwachsenenlebens. Das war natürlich mit 16 nicht gegeben. Ist aber ganz wichtig, um wirklich umfassend beraten zu können."
"Nach wie vor kommen die meisten mit dem klassischsten aller Themen zu mir: der Liebe."
Aktuell werden viele von diversen Krisen beeinflusst, wie Pandemie, Krieg oder der Energiekrise. Merken Sie einen Anstieg von Anfragen?
Linda Hauptmann: "Nach wie vor kommen die meisten Menschen mit dem klassischsten aller Themen zu mir: der Liebe. Unsicherheit darüber, ob die Beziehung von Bestand sein wird, ob es mit dem Expartner oder einem neuen Date eine Perspektive gibt, warum grade in der Partnerschaft der Wurm drin ist, ob sich jemand für's Herz findet in der nächsten Zeit - das ist nach wie vor das, was die meisten bewegt. Allerdings ist die Nachfrage an Unterstützung in Bezug auf berufliche Entscheidungen ein wenig angestiegen. Ich habe den Eindruck, dass die Entwicklung der vergangenen zwei Jahre einen Zulauf in die 'spirituelle Szene' bewirkt hat. Themen wie Achtsamkeit, Meditation, Energiearbeit, aber auch kleine Rituale wie etwa aktuell anlässlich der Rauhnächte oder zum Vollmond, finden immer mehr Anklang. Anscheinend haben viele Menschen den Wunsch, in diesem herausfordernden Außen mehr nach innen zu blicken. Das finde ich schön. Denn letzten Endes ist unser Innenleben der Bereich, auf den wir am meisten Einfluss haben."
Wie vereinen Sie die "Lege-Technik" mit Ihrer Intuition bei der Arbeit?
Linda Hauptmann: "Legetechnik betreibe ich gar nicht im Sinne von festgelegten Legemustern und vordefinierten Deutungen. Nach über 20 Jahren arbeite ich nur noch intuitiv. Als Anfänger 'lernt' man die Kartenbedeutung. Beispiel die 'Fünf der Stäbe': auf der Karte sehen wir fünf Männer, die mit Stäben miteinander kämpfen. Stäbe stehen für das Element Feuer, also Leidenschaft, Kreativität, Drive, Power. Die Nummer 5 ist kabbalistisch der Ebene Geburah zugeordnet - die untersteht der Mars-Energie, ist also geprägt von Auseinandersetzung, Kampf, Sexualität, Wettstreit. Das Lehrbuch sagt dann sowas wie: ein befeuernder Konkurrenzkampf. Ich habe diese ganzen Energien verinnerlicht, aber meine Intuition sagt mir ohne nachdenken, ob es darum geht oder manchmal auch um etwas ganz anderes. Ein verletztes Ego. Das Potenzial für sportliche oder berufliche Höchstleistungen. Der Wunsch, wahrgenommen zu werden, und sich darum mit aggressiven Hilferufen zu zeigen. Oder noch viel weiter weg von den klassischen Deutungen. Nach den vielen Erfahrungen, die ich mit meinen Karten machen durfte, haben wir unsere ganz eigene Sprache. Sinnvolle 'Technik' im Zusammenhang mit dem Tarot ist für mich eher das Verknüpfen verschiedener Bereiche. Also das Vereinen der erlernten Energiefelder der Karten mit einer ausgeprägten Intuition, gepaart mit praktischer Lebenserfahrung, Psychologie und Empathie für das Gegenüber."
Erzählen Sie uns bitte, welche Themen im Bereich der Zukunftsdeutung besonders beliebt sind? Gibt es erkennbare Unterschiede zwischen Fragestellern und Fragestellerinnen?
Linda Hauptmann: "Ich isoliere Zukunftsdeutung nie von einer gründlichen Analyse der Gegenwart. Denn - was jetzt ist, was wir vielleicht nicht so bewusst gewahr haben - das können wir auch bereits jetzt zu unserem eigenen Besten prägen oder verändern. Reine Zukunftsausblicke werden am meisten von Singles, die sich nach einer Partnerschaft sehnen, angefragt. In Bezug darauf, wer sich so zeigt in den nächsten Monaten. Und von Menschen, die vor einer größeren Entscheidung stehen: was erwartet mich, wenn ich bei meinem Arbeitgeber bleibe, was erwartet mich, wenn ich alternativ das Stellenangebot wahrnehme, so in etwa. Und last but not least auch von Menschen, die grundsätzlich gut und solide aufgestellt sind, und noch Finetuning betreiben möchten. Im Sinne von - Welche Energien werden auf mich einwirken? Was gilt es für mein Mindset zu beachten? Wie kann ich mich am sinnvollsten positionieren? Große geschlechterspezifische Unterschiede kann ich nicht ausmachen. Höchstens vielleicht, dass die Herren ihre Herzensfrauen manchmal weniger intuitiv verstehen und sich dahingehend ein Stimmungsbild geben lassen möchten. Aber die Themen sind bei Männern, wie bei Frauen an sich die gleichen."
"Meinem Verständnis nach ist unsere Zukunft keinesfalls in Stein gemeißelt, sondern sehr dynamisch."
Viele wollen immer über die "Treffsicherheit" der Karten wissen. Wie sieht es damit aus?
Linda Hauptmann: "Ich kann nur für meine Deutung sprechen, denn leider kann man auch sehr fahrlässig mit den Karten umgehen und damit schlimmstenfalls Verunsicherung, Angst oder Illusionen und Enttäuschung im Gegenüber erzeugen. Mein Weg ist es, mich komplett auf meine Intuition zu verlassen. Anstatt eine Lehrbuch-Interpretation vorzunehmen. Aber ich erkläre es mir so: Wir alle sind durch Zeit und Raum unsichtbar verbunden, wie Pilze. Wir sehen nur die einzelnen Fruchtkörper an der Oberfläche, das Wurzelgeflecht aber verbindet uns kilometerweit miteinander. So, nehme ich an, gibt es auch ein unsichtbares Feld zwischen Menschen. Uns ist es somit möglich mit diesem Feld zu verbinden. Das zu deuten, tue ich mithilfe der Karten. Naturvölkern wie den Aborigines sagt man telepatisches Kommunizieren nach - ich nehme an, diese Fähigkeit schlummert in uns allen. Was auch immer es ist: ich freue mich immer wieder sehr über das bestätigende Feedback auf meine Legungen. Und manchmal staune ich, woher mich diese Informationen anfliegen."
Wie gehen Sie mit negativen Prognosen von Klient:innen um?
Linda Hauptmann: "Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Der Umgang mit negativen Tendenzen. Was ich zu Beginn jeder Legung klarstelle: Meinem Verständnis nach ist unsere Zukunft keinesfalls in Stein gemeißelt, sondern sehr dynamisch. Wir haben jeden Moment unzählige Gelegenheiten, die Weichen für unsere nächste Zeit zu verstellen. Eine Kartenlegung bildet daher immer den wahrscheinlichsten Verlauf ab, wenn nicht etwas signifikant im eigenen Verhalten, in den eigenen Entscheidungen geändert wird. Wenn ich unerfreuliche Entwicklungen sehe, spreche ich sie natürlich - vorsichtig und empathisch - aus. Zugleich ist es mir dann immer ein Anliegen, für diese Tendenz entschärfende Optionen zu suchen. Manche Entwicklungen lassen sich komplett abbiegen, wenn man mit Vorwissen und Achtsamkeit in diese Zeit geht. Selten gibt es auch Situationen, die sehr deutlich aus dem Außen kommen und kaum zu entschärfen sind. In diesen Fällen fokussiere ich mich darauf, eine Perspektive für den Umgang mit der Herausforderung und dem Danach zu finden."
Wie gehen Sie dann damit um?
Linda Hauptmann: "Mir ist es ganz wichtig, niemanden ein Damoklesschwert über den Kopf zu hängen oder das Gefühl von Determinismus zu geben. Das entspricht nicht meinem Denken. Auch möchte ich nicht schlimmstenfalls zu einer self fulfilling prophecy beitragen, also mein Gegenüber zu beeinträchtigen und damit ungute Entwicklungen zu befeuern. Ein Kartenleger, der voller Überzeugung Trennung, Verlust des Arbeitsplatzes oder dergleichen als feststehend ausspricht, wäre mir erstmal suspekt. Eine Kartenberatung sollte unbedingt lösungsorientiert und nicht katastrophisierend sein. In dem Sinne verstehe ich mich auch nicht als Wahrsagerin, sondern als spirituelle Beraterin."
"Freuen wir uns also auf ein Jahr, in dem wir unsere klar definierten Ziele mit ruhiger Souveränität verfolgen und erreichen!"
Bitte ziehen Sie uns eine Karte für das Jahr 2023. Worauf können wir uns freuen?
Linda Hauptmann: "Ich habe die Arkana III, die Herrscherin, für unser nächstes Jahr gezogen, und diese Energie spüre ich im Kollektiv schon stark im Kommen. Am Rande - egal ob die Karte einen Mann oder eine Frau zeigt, sie gilt immer für alle Geschlechter und weist auf Anteile in jedem von uns. Die Herrscherin verkörpert pure Kreation. Gelassen sitzt sie in ihren fließenden Gewändern auf ihrem weich gepolsterten Thron. Das Zeichen der Venus - Verfeinerung, Sinnlichkeit, Luxus - zu ihren Füßen, Fruchtbarkeit symbolisierende Granatäpfel auf ihrem Kleid, in einer nahrhaften Natur mit Kornfeld und Bach. Die Herrscherin kreiert ihr Leben so, wie sie es leben möchte. Zuvor hat sie sich als Arkana II, als Hohepriesterin, ihre Gedanken gemacht, was ihr wichtig ist und was sie erleben möchte. Nun erschafft sie es - voller Zuvertrauen in ihre Fähigkeiten. Was sie berührt, floriert. Sie strahlt Sicherheit. Schönheit. Liebe und Wärme aus, denn sie weiß um ihre Ziele, und um ihre Fähigkeiten. Und sie weiß, dass nur sie alleine verantwortlich für ihr Leben ist. Freuen wir uns auf ein Jahr, in dem wir unsere klar definierten Ziele mit ruhiger Souveränität verfolgen und erreichen! Und gerne dürfen wir uns einen Moment Zeit für Dankbarkeit nehmen. Dafür, dass uns das Leben diese Fülle an Möglichkeiten bietet."
Die gebürtige Dortmunderin und zweifache Mutter, Linda Hauptmann, lebt bei Frankurt am Main. Als Diplomingenieurin für Weinbau und Önologie hat sie eine Schwäche für Champagner, beruflich wie privat. Neben ihren Hobbies, wie Kampfsport, Reisen und gutes Essen, legt sie als spirituelle Beraterin Wert auf regelmäßige Meditation und beschäftigt sich mit den Themengebieten Psychologie und Achtsamkeit.