Wie wir gemeinsam glücklich alt werden können: Im Gespräch mit Jan Wandel
Wer wünscht sich das nicht – zu zweit bis zum Lebensende glücklich sein? Doch leider trennen sich heutzutage viele Paare schnell wieder. Und selbst wenn Paare lange zusammenbleiben, leben sie nicht selten nebeneinander her. Für eine dauerhaft erfüllte Beziehung müssen sich beide von unrealistischen Erwartungen verabschieden. Wie das gelingen kann, hat L'Officiel Austria im Gespräch mit Therapeut Jan Wandel von MeinWandel erfahren.
Individualpsychologischer Gesprächstherapeut Jan Wandel von MeinWandel erklärt uns, wie Paare die typischen Konflikte in langen Partnerschaften lösen, eine gemeinsame Perspektive für die Zukunft entwickeln und so den Grundstein für eine glückliche Fortsetzung ihrer Beziehung legen.
Gibt es die so genannte Beziehungsfähigkeit? Sprich können wir Menschen in beziehungsfähig oder beziehungsunfähig unterteilen?
Jan Wandel: "Inwieweit ein Mensch zur sozialen Interaktion fähig ist zeigt sich dadurch, wie er sich in einer Beziehung verhält. Selbst ein Psychopath wäre „normal“, solange er alleine im Wald lebt, keinen Kontakt zu anderen Menschen hat und auch keine Bedürfnisse verspürt, die durch andere befriedigt werden sollen. Er kann sein wie er will, solange er niemanden gefährdet. Es gibt es keine gesellschaftliche Norm, die ihn bewertet. Das bedeutet, wir kommen erst durch die eigenen und fremden Erwartungen in die missliche Lage – beziehungsfähig oder unfähig zu sein. Allgemein kann man sagen, dass alle Menschen sich bewusst oder unbewusst auf eine Regel der Beziehung geeinigt haben: Sie darf nicht toxisch sein. Wenn wir diese Definition nehmen, dann wäre ein beziehungsfähiger Mensch derjenige, der andere nicht für seine eigenen Zwecke ausnutzt. Doch das geschieht schneller als man denkt."
Funktionieren Beziehungen langfristig nur unter beziehungsfähigen Menschen?
Jan Wandel: "Nach der Definition von oben: Ja und Nein. Es kommt darauf an, was wir von einer Beziehung erwarten. Ich kann eine altruistische Beziehung führen (wo niemand den anderen ausnutzt) und bis ans Lebensende zufrieden sein, aber auch eine toxische, wo das Ausnutzen zu den Spielregeln gehört. Ein Beispiel: Ein nehmender Mensch hat eine Beziehung mit einem gebenden. Der nehmende fühlt sich gut, solange er bekommt und der gebende wichtig, solange er gibt."
Gerade beim Dating herrscht impulsives Verhalten. Auch Tipps wie „Willst du etwas gelten, mach dich selten“ sind weit verbreitet. Inwiefern beeinträchtigt das die Beziehungsfähigkeit?
Jan Wandel: "Man spricht von Störung, wenn ein Mensch mehr Mühe aufwendet, um geliebt zu werden, als wenn er gar nichts tut. Es scheint durch den Kapitalismus, die Gesellschaft und unsere Erziehung völlig normal zu sein, etwas für die Liebe tun zu müssen. Ein Baby wird bedingungslos geliebt, egal ob es stark, schön, schlau, erfolgreich, angepasst, nett, sexy oder witzig ist. Wir können uns das nur nicht mehr vorstellen und erfinden Regeln wie „willst du etwas gelten, mache dich selten“. Aber ein Baby musste sich auch nicht selten machen, es musste nur existieren. Die Frage ist also nicht, wie selten du dich machst, die Frage ist, wie lange kannst du es schaffen, du selbst zu bleiben und an dir zu arbeiten, bist du den passenden Menschen gefunden hast ohne der Versuchung nachzugehen, deinen von Geburt an existierenden Wert zu manipulieren."
"Wenn du weißt, wer du wirklich bist, was du vom Leben willst und was du freiwillig geben kannst, hast du alle Voraussetzungen für eine ewige Partnerschaft." - Jan Wandel
Was passiert, wenn wir die Muster des anderen durchschauen?
Jan Wandel: "Oft passen dann unsere Partner nicht mehr zu uns und wir müssen uns neu orientieren. Muster fühlen sich an, als wäre man fremdbestimmt und das macht unglücklich. Trotzdem bleiben viele lieber in ihnen und nörgeln am Gegenüber herum. Es scheint leichter seine Muster zu verdrängen, anstatt sich zu trennen und neu zu erfinden. Würden wir Beziehungen als Chance zum Wachstum sehen und sie nicht romantisieren, hätten wir eine andere Sicht auf das Leben."
Das Internet zapft Sehnsüchte an. Leidet die Beziehungsfähigkeit stark unter Social Media?
Jan Wandel: "Nicht nur das Internet verbreitet mit den perfekten Posts von Schönheit und Reichtum falsche Vorstellungen, auch die ganze Popkultur. Liebeslieder, Filme und Romane tragen immer wieder die Botschaft in die Welt, dass man ohne äußere Einflüsse nicht erfüllt sei. Oder auch, dass man nur noch an sich denken soll um glücklich zu sein. Doch geben macht selig, nicht nehmen."
Kann man den gleichen Menschen überhaupt für immer lieben?
Jan Wandel: "Tiere können das. Einige Arten bleiben ein Leben lang zusammen. Wir können das auch, aber wir brauchen einen hohen Wert an Selbsterkenntnis. Wenn du weißt, wer du wirklich bist, was du vom Leben willst und was du freiwillig geben kannst, hast du alle Voraussetzungen für eine ewige Partnerschaft, solange das Gegenüber auch auf diesen Stand ist."
Welche Ratschläge geben Sie regelmäßig Paaren, die an ihrer Beziehung arbeiten möchten?
Jan Wandel: "Gehen wir davon aus, dass beide Parteien keine toxische Beziehung wollen wäre mein Rat: Stelle dir jeden Tag die Frage: Will ich mit diesem Menschen völlig freiwillig zusammensein? Und bringen dich die Marotten, Charaktereigenschaften, Vorlieben, Werte, Ziele und Fehler deines Partners davon ab, dass mit 'ja' zu beantworten, solltest du in Erwägung ziehen dich zu trennen."
Gibt es ein Erfolgsrezept für langfristige, glückliche Beziehungen?
Jan Wandel: "Lasse dir nicht das Schlupfloch, ihn oder sie heimlich verändern zu wollen. Arbeite nur an dir selbst und gebe nur das was, du auch wirklich freiwillig geben möchtest."
Jan Wandel ist Individualpsychologischer Gesprächstherapeut, und "Vater eines wundervollen Jungen", wie er sagt. Dazu ist er ein leidenschaftlicher Fallschirmspringer, Tierfreund und Naturliebhaber.