Von wegen back to normal - jetzt wird neu sortiert!
"Wenn die Krise erstmal vorüber ist, werden wir Schönheit brauchen und wieder die einfachen Dinge im Leben zu schätzen wissen."
Giorgio Armani
Als vor genau einem Jahr in Europa ein Land nach dem anderen in den Lockdown ging und Millionen ihre Homeoffices bezogen, meldeten schon die Online-Shops einen neuen Modeboom: "Loungewear". Keine Frage, die Coronakrise hat das Konsumverhalten unmittelbar verändert.
Und Modeschauen während einer globalen Virus-Pandemie? Kaum vorstellbar. Das hat die DesignerInnen für diesen Herbst/Winter 2021 besonders kreativ gemacht und sie tauschten Laufsteg gegen Leinwand. Manche streamten online, andere schufen kunstvolle Videopräsentationen. Die Kulissen erzählten zu den Looks dieses Mal noch mehr Geschichten, und wir alle konnten ein Teil davon sein. Die neue Saison beweist: Inspiration ist überall - auch wenn alles stillsteht.
Die Idee, dass ein Tross von Hunderten Menschen für eine zehnminütige Show bis ans andere Ende der Welt fliegt, war schon lange nicht mehr zeitgemäß - weil sie einfach alles andere als nachhaltig ist. Wie konsequent man die Corona-Krise als Anlass zur Entschleunigung ziehen kann, zeigte eine Vielzahl bewährter Marken, darunter Saint Laurent und Gucci, die künftig nur noch zweimal im Jahr, nämlich zur Sommer- und zur Herbstsaison, zunehmend kleiner zeigen wollen, statt wie gewohnt mit reichlich Zwischenkollektionen von Resort zu Pre-Fall über etlichen Capsule Kollektionen.
Mit dem kurzfristigen Präsentationsausfall der Resort-Kollektionen und dem gänzlichen Aufschub der Fashion Weeks in unserem Vorjahr 2020 ließ das Konzept Modewoche zu Kosten treuer Modefans ihre Industrie bangen. Die Pandemie hat die Karten neu gemischt und auch die Nerven der Einkäufer lagen blank.
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Nachdem wir innovative Filme und Kulissen in der Couture sehen durften, wurden wir auch in der Ready-to-Wear AW 2021 bestens unterhalten und ließen uns von der kommenden Herbst-Winter Saison inspirieren. Da die Welt aber immer noch inmitten einer Pandemie steckt, mussten wir die Schauen weiterhin virtuell in unseren eigenen vier Wänden erleben. Ein großer Vorteil immerhin: Im behaglichen Social Distancing musste dafür kaum jemand extra nach London, Mailand und Paris reisen. Wir genossen digitale Front-Row im Schlabberlook auf dem heimischen Sofa.
Die Entwürfe, die bei den aktuellen Modewochen gezeigt wurden, entstanden in einer Zeit, in der unsere Normalität in sich zusammenfiel. Bei den Herbst-Winter Kollektionen war die Stimmung ebenso apokalyptisch (wir erinnern uns dabei an die düstere Schönheit von Dior und Salvatore Ferragamo) wie zukunftsfroh mit Party-wear für kommende Zeiten (Lanvin, Christian Cowan und Moschino).
Normalerweise sitzen Hunderte Zuschauer dichtgedrängt auf Bänken und bestaunen die Ergebnisse wochenlanger Arbeit eines Modehauses. Auch diesmal galten Sicherheitsvorkehrungen: kein Publikum, dafür aber eine ganz besondere Corona Fashion Week von zu Hause.
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Dass Marken wie Versace oder Louis Vuitton die Fotos ihrer Kollektionen einfach online veröffentlichten, wurde deshalb von vielen Modeexperten für angenehm entschleunigend und besonders zukunftsweisend befunden. Andere Häuser versuchten, ihren neuen Entwürfen zusätzlich Leben durch Bewegtbildmaterial einzuhauchen - an der Spitze das französische Modehaus Chanel. Einige DesignerInnen ließen die Show unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen dennoch stattfinden: ohne Publikum, aber per Livestream und brachten unsere Modewochen somit ins World Wide Web.
Dass es allein aufgrund der erschwerten Produktionsbedingungen keine Fashion Week der Überraschungen und großen Gesten geben würde, war bereits im Vorfeld klar. Die meisten DesignerInnen bewegten sich verlässlich in die Richtungen weiter, die sie bereits in vorherigen Saisons eingeschlagen hatten.
Sie ließen sich von ihren Designarchiven inspirieren und legten alte Schätze neu auf.
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Plötzlich gibt es wieder Grenzen und wir müssen uns viel stärker mit unserer eigenen Kultur beschäftigen. Viele DesignerInnen fanden ihre Inspiration daher sehr naheliegend in unmittelbarer Nähe. Für die meisten DesignerInnen und Modemarken bedeutete dies wiederum aber auch der Zusammenbruch ihrer Lieferketten. Sie mussten daher vorwiegend einfach nutzen, was sie ohnehin vor Ort vorfanden und so war Patchwork als nachhaltige Wiederverwertung alter Stoffe erneut ein wichtiges Thema der Saison.
Auch die Grenzen zwischen Performancekunst und Modenschau verschwommen. Von verschneiten Miu Miu-Kulissen aus Mailand zu einer Bühne in Antwerpen, auf der Dries Van Noten menschliche Emotionen in seiner kommenden Herbst-Winter 2021 Kollektion inszenierte, ließen die Kreativdirektoren viel Spielraum für Ungewagtes. Valentino-Creative Director Pierpaolo Piccioli folgte und zeigte neben MSGM seine punk spirit Kollektion für den Herbst-Winter 2021 ebenso in einem coronabedingt leerstehenden Theater in Italien.
Digitale Ansätze schufen Möglichkeiten, die in einer analog stattfindenden Runway-Show womöglich nicht hätten stattfinden können. Kollektive Projekte zwischen gleichgesinnten Künstlern und unvorhergesehene Marken-Kooperationen entstanden, die ohne globaler Einschränkungen möglicherweise nie zueinander gefunden hätten.
Die Kollektionen der aktuellen Saison mögen kuschelig daherkommen, doch sie haben auch gezeigt, dass Fashion Week egalitärer, emissionsfreier und aufrichtiger denn je funktionieren kann. Wäre es nicht den äußeren Umständen der Pandemie geschuldet, könnte man dieses Durcheinanderwirbeln der Konventionen gar aufrührerisch oder gemütlich revolutionär nennen. Zuletzt hat jedes noch so Negative meist auch etwas Positives. Lassen Sie und diese Notbremse als eine Chance für einen nachhaltigen Reset sehen. Auch wenn eine digitale Fashion Week keineswegs die Emotionalität einer "wirklichen" Modewoche nachempfinden kann, hat die Modeindustrie jetzt in Pandemiezeiten eine Gelegenheit wie nie zuvor, sich zu lösen: und zwar von der rasanten Saison-Taktung und dem Zwang sich ständig neu erfinden zu müssen. Es bleibt dabei allerdings abzuwarten, welche Veränderungen bestehen bleiben, wenn sich der Staub erstmal gelegt hat.