Tabis: Was steckt hinter den umstrittenen Schuhen?
Entweder man liebt Tabis oder man hasst sie. Kaum ein Schuh ist so umstritten und löst so viele Emotionen aus wie der Zehenschuh. Doch trotzdem: Er ist zum Must-Have aller Mode-Nerds geworden.
Martin Margiela, der Gründer der Marke, gilt als einer der einflussreichsten Designer seiner Zeit. Er ist bekannt dafür bereits existierendes neu zu denken und damit etwas Neues zu kreieren. Gerade zu seiner Anfangszeit dekonstruierte er oft Vintageteile und schaffte mit ein paar persönlichen Kniffen und innovativen Ideen ein noch nicht da gewesenes Stück. Teile wie der Sock-Sweater, ein Pullover, der aus Militärsocken besteht oder das Gloves-Top, aus aneinander genährten Handschuhen sind nur wenige Beispiele davon. Des Weiteren steht Maison Margiela für Tabis: die Zehenschuhe begleiten die Marke schon seit der ersten Kollektion.
Japanischer Ursprung
Der Designer hat die Zehenschuhe keineswegs erfunden, sondern neu konstruiert. Ihr Ursprung liegt im 15. Jahrhundert in Japan. Die Tabi Socken wurden mit geta oder zori Schuhen kombiniert: japanische Holzsandalen mit einem Riemen zwischen den Zehen. Bis heute gehören die Schuhe, sowie Tabi Socken und Kimonos zu der traditionellen Kleidung, besonders für zeremonielle Zwecke werden sie immer noch getragen.
Anfangs wurden die Baumwollsocken aus Materialgründen nur vom Adel getragen und später markierte die Farbe den sozialen Stand. Meist in Weiß, doch auch lilane und goldene für die Oberschicht und navy blue für die Unterschicht. In den 1900ern wurde dann aus dem Tabi mehr als eine zweigeteilte Socke, die die Füße vor Schmutz und Kälte schützt, und zwar ein Schuh in derselben Form mit einer Gummisohle: der jika-tabi. Er gilt als Arbeiterschuh und wird von Handwerker:innen, Straßenarbeiter:innen, etc. getragen und begleitet viele Japaner:innen bis heute durch den Alltag.
Margielas eigener Twist
Eine Reise nach Japan inspirierte Martin Margiela. Er hatte gerade Jean Paul Gautier verlassen und war im Prozess, seine eigene Marke zu gründen. Da er ein Fan von japanischer Mode ist, suchte er dann nach einer Inspiration für einen einzigartigen Schuh für seine Kollektion. Dort entdeckte er die Tabi Silhouette auf den Straßen Japans. Sowie Margiela aus existierenden Dingen etwas Neues kreiert, machte er hier auch so: Er nahm die Silhouette und setzte sie auf einen chunky Heel: Es soll quasi so aussehen wie Socken, die auf einem Absatz liegen.
“I wanted to create an ‘invisible’ shoe, the illusion of a bare foot walking on a high, chunky heel,”
- Martin Margiela
Was die Schuhe so besonders macht
Manche halten die Tabi Schuhe für sehr hässlich, andere lieben ihren einzigartigen Charakter. Allenfalls sind es Schuhe, bei denen man eine Meinung haben muss – Es geht gar nicht anders. Das kommt von einer allgemeinen Faszination a là Uncanny Valley, ein Begriff, den man eher aus der Robotik oder der Animation kennt. Er beschreibt das unwohle Gefühl, dass eine Darstellung von etwas in uns auslöst, wenn diese zu nah an der Realität ist. Genau derselbe Effekt entsteht bei den Tabi Stiefeln: Sie schauen auf den ersten Blick aus, wie klassische Stiefeletten und erst bei einer genaueren Betrachtung fällt auf, dass die Zehenpartie einen Spalt zeichnet. Außerdem erinnert das Aussehen sehr an das von Hufen – Es sieht also für uns einfach fremd aus. Daneben zwingen die Schuhe einen also schon fast zu fühlen – ob sie dabei eine gute oder schlechte Emotion auslösen, ist völlig egal. Ein Unbehagen ist das Ziel. Und gerade deswegen zeigt der Schuh, wie auch das Unbekannte und Seltsame schön sein kann, weil es eben nicht nur um ein rein ästhetisches Empfinden geht, sondern um das Gefühl.
Nicht mehr wegzudenken
Die Tabi Stiefel begleiten Margiela schon seit seiner Debutshow, der Frühlingskollektion 1989. Damals gab es sie nur in Schwarz und um sie trotzdem in den Vordergrund zu rücken und ihre Einzigartigkeit zu zeigen, dippten die Models vor dem Laufsteg ihre Füße in rote Farbe und hinterließen so eine Spur in der Form der Sohle hinter sich.
“I thought the audience should notice the new footwear,” … “And what would be more evident than its footprint?”
- Martin Margiela
In den darauffolgenden Shows zeigte er dieselben Stiefel nochmal, er malte die, die sich nicht verkauften wurden, neu an, um Geld zu sparen und schenkte ihnen ein neues Leben. Margiela präsentierte die Schuhe weiterhin in den darauffolgenden Kollektionen und so wurden Tabis langsam, aber sicher zu einem Markenzeichen Margielas. Heute gibt es sie in vielen Ausführungen zu kaufen: Stiefel, Ballerinas, Sneaker, Loafer, Kniestiefel, Topless Version (nur die Sohle) und sind auch für beide Geschlechter erhältlich.
“After several collections people started asking for [the Tabi],” ... “And they wanted more … and they didn’t stop asking, thank God.”
- Martin Margiela
Ein Schuh für Kenner:innen
Weil der Schuh so besonders ist, war die Silhouette abseits vom Mainstream beliebt. Ganz nach: If you know you know. Der Avant-Garde-Look war mehr ein Statussymbol für alternative, modeinteressierte, die sich von der Masse abheben wollten. Heute sind Tabis schon lange kein Geheimtipp mehr – Jede:r ist ihnen mal irgendwo begegnet. Auch wenn die gespaltenen Zehen immer noch so umstritten sind, sind die einst Nische-Schuhen durch die steigende mediale Sichtbarkeit zu einem Must-Have geworden.
Woher kommt der plötzliche Hype?
Gerade Social Media hat sehr stark dazu beigetragen, dass Tabis ihren Weg in den Mainstream gefunden haben. Die Fashion Szene auf Tik Tok ist groß und lädt durch ihr Videoformat perfekt zum Austausch ein. Vor allem für die neue Generation der Modeinteressierten ist sie neben Instagram und Pinterest die Inspirationsquelle schlechthin und aus diesem Grund kann alles, was in diesen Kosmos passiert, zu einem Trend werden. Gleichzeitig findet eine Demokratisierung der Fashion Industrie statt: Alle können auf alles zugreifen und werden allem ausgesetzt. So können auch Menschen, die nicht tief in der Szene sind, mit solchen Nische-Schuhen konfrontiert werden. Und während extravagante Schuhe generell immer beliebter werden, wie die Moon Boots, die Big Red Boots von MSCHF, etc. nimmt auch die Beliebtheit von Tabis zu. Das Abheben von der Masse spielt schließlich immer noch eine große Rolle und mit solchen Schuhen sticht man auf jeden Fall hervor.
Außerdem ist der Schuh nun mal sehr fotogen und einprägsam. Unzählige Influencer:innen präsentierten den Schuh bereits mit einer Zigarette oder einem Weinglas zwischen den Zehen und kassierten dafür unzählige Likes.
Zusätzlich ist der Schuh auch zu einem Teil der Popkultur geworden, populäre Shows wie Emily in Paris haben die Schuhe schon gezeigt und auch unter Celebrities ist der Schuh beliebter denn je – Dua Lipa, Kylie Jenner, Nick Jonas und Asap Rocky sind nur wenige Namen der wahrscheinlich endlosen Liste.
Tabis = Basic?
Trotz des Hypes und seiner so hohen Sichtbarkeit auf allen Plattformen, ist der Schuh durch ihren außergewöhnlichen Look nicht was für jede Person. Egal wie Mainstream der Schuh jetzt erscheint, das passiert trotz allem immer noch in der Fashion Sphäre – Für die meisten ist und bleibt der Schuh der Hufenschuh.