Balenciaga: Wenn High Fashion sich zugleich selbst kritisiert
Balenciaga – die Luxusmarke, die es schafft, durch Schlagzeilen und Kontroversen im Auge der Öffentlichkeit zu bleiben. Mit Ironie und Selbstreflexion ist sie aber mehr als nur ein Witz für die Modeindustrie. Was steckt hinter der Skandalmarke?
Schon wieder bringt Balenciaga ein fast lächerliches Produkt auf den Markt: die Chipstüten-Tasche. Und schon wieder stellt sich jede:r von uns die Frage, was das eigentlich soll. Es ist nicht das erste Mal, dass die Brand etwas macht, was polarisiert – eigentlich passiert das andauernd. Ob es nun die Ikea-Tasche oder die Paris Sneaker sind – eins ist sicher: Über Balenciaga wird immer gesprochen. Dabei geht dieser gewollte Schockfaktor oft zu weit, wie es erst der letzte Skandal letzten Winter bewiesen hat: Eine Werbekampagne mit Kindern, abgelichtet in einem kinderunfreundlichen Kontext. So etwas ist selbstverständlich nicht vertretbar und wird zu Recht kritisiert, doch trotzdem: Es steckt mehr hinter Balenciaga als reine Provokation.
Pionier der Haute Couture
Die Hintergründe der Luxusmarke liegen sehr weit weg von Meme-Fashion, Schlagzeilen und Kontroversen: in der Haute Couture. Christóbal Balenciaga, der Gründer und Namensgeber der Marke, wurde 1895 in Spanien geboren. Sein Vater starb, als er noch jung war, und um seiner Mutter dann beim Geld verdienen unter die Arme zu greifen, lernte er schon mit 11 nähen. Im Jahr 1917 eröffnete er schließlich seinen ersten eigenen Laden und gründete seine eigene Marke. Der erste Laden befand sich in San Sebastian, gefolgt von zwei weiteren Filialen in Barcelona und Madrid. Aufgrund eines Krieges floh er 1936 nach Paris, wo die Luxusmarke schließlich große Aufmerksamkeit bekam und sich insbesondere beim Adel großer Beliebtheit erfreute.
Er designte, so wie andere große Modehäuser zu der Zeit, Haute Couture Mode und prägt die Branche mit seiner Arbeit bis heute. Aus diesem Grund wurde er schon damals von anderen Designern hochgepriesen, Christian Dior bezeichnete ihn beispielsweise als den „Meister von uns allen“ und Coco Chanel als „den einzig wahren Coutorier“. Im Großen und Ganzen unterschied er sich vom Rest, indem er Mode machte, die nicht dem Trend folgt. Damals waren Sanduhr-Silhouetten Trend, so wie es beispielsweise Dior machte, doch Balenciaga wagte sich an das Gegenteil und schaffte damit eine komplett neue Silhouette für Frauen und befreite sie von dem Fokus auf ihre Figur. Mit dem Sack-Dress, was wortwörtlich wie ein Sack aussieht und kantigen Schnitten, revolutionierte er Frauenmode.
Ein holpriger Weg
Nach Christóbal Balenciagas Tod erbte sein Neffe das Unternehmen, der es dann weiterverkaufte. Eine Weile lang wurde der Name für den Verkauf von Parfüm ausgenutzt. Erst 1987 unter Michel Goma fokussierte sich die Marke wieder auf Kleidung, aber diesmal mit einer riesigen Veränderung: Er sollte die Ready-To-Wear-Kollektion von Balenciaga kreieren. Danach waren Nikolas Ghesquiere und kurz Alexander Wang Creative Director, bis Demna der Marke eine neue Bedeutung und Stellung in der Modewelt schenken sollte. Heute gehört Balenciaga neben Gucci oder Puma zur Kering-Gruppe.
Demna Gvasalia
1981 geboren im heutigen Georgien hatte der Designer keineswegs eine einfache Kindheit. Schon mit 11 Jahren musste er wegen eines Bürgerkriegs innerhalb seines Landes fliehen und zog später mit seiner Familie nach Deutschland. Er besuchte dann eine renommierte Fashion-Design-Schule in Antwerpen, obwohl er bereits einen Abschluss in International Economics und sonst keine Erfahrung mit Mode hatte. Nach seinem Abschluss arbeitete er bei Margiala und bei Louis Vuitton, bis er 2014 unter anderem die Streewear-Marke Vetements gründete – ein Ort, wo er sich erstmals komplett frei und kreativ ausleben durfte. Schnell machte er sich mit seinen außergewöhnlichen Kollektionen einen Namen und wurde dann 2015 der Creative Director von Balenciaga. Er war und ist genau das, was, die Marke gebraucht hat: jemand, der sie wieder relevant für die Modewelt und die neue Generation macht.
Was Demna so besonders macht
Dass sich Balenciaga mit Demna in eine völlig andere Richtung entwickelt hat, ist keine Frage, wobei seine Arbeit sehr umstritten ist – zurecht. Er schaffte es bereits mit Vetements sich immer wieder in die Schlagzeilen zu bugsieren und mit Balenciaga ist es nicht anders. Avantgardistische Designs, oversized Silhouetten, unkonventionelle Materialien, große Logos, innovative Schnitte und Streetwearelemente zeichnen ihn als Designer aus. Bereits bei Vetements konnte man sehen, wie er Aspekte aus High Fashion und Streetwear kombiniert, der sogenannte Metal-Hoodie von Vetements ist ein Beispiel dafür: er kombinierte einen innovativen Schnitt (weite Ärmel und sehr oversized) und Streetwear Elementen (einem großen Logo).
Grundsätzlich kann man zu seiner Arbeitsweise sagen, dass er gerne Elemente aus dem Alltag nimmt und in sie High Fashion umwandelt. Allenfalls macht er Anti-Fashion: unkonventionell und abseits vom Mainstream.
Demnas Arbeit bei Balenciaga hat sich obendrein in all den Jahren sehr gewandelt: Streetwear und Sneaker nehmen nicht mehr eine so große Rolle ein und mit seiner Haute Couture Kollektion 2021 bewies er, dass seine Arbeit mehr als nur Ironie ist und sein kann. Mit vielen Referenzen an Arbeit von Christóbal Balenciaga, machte er der Marke alle Ehre. Trotzdem blieb er sich treu: Auch hier präsentierte er Jeans und Hoodie, was für Haute Couture sehr untypisch ist.
Shows als Spektakel
Weiter sind seine Fashion Shows mehr als ein reines Vorstellen seiner Arbeit: Er lässt sich jedes Mal aufs Neue was Spektakuläres einfallen, um eine Geschichte mit seiner Kleidung zu erzählen. Generell drehen sich die Shows rund um Themen wie Zukunft, Klimakrise, Krieg, Technologien und Politik, sie sind also sehr nah an aktuellen Geschehnissen gekoppelt, wie beispielsweise die FF22 Show durch den Schneesturm, die den Ukrainekrieg thematisiert. Hier erzählte er eine Geschichte, die auch er persönlich erlebt hat: die Flucht vor dem Krieg. Ansonsten lässt er Models durch den Schlamm laufen, klont ein Model mithilfe von AI oder findet eine Location, die an den UN-Besprechungssaal erinnert.
Was darf High Fashion?
Grundsätzlich stellt sich Demna mit seiner Arbeit die Frage, was Fashion darf und was nicht, bzw. was High Fashion und Luxus darf und was nicht. Er hinterfragt sozusagen, was wertvoll sein darf und was nicht.
Ein Spiegel des Alltags
Während es in der Kunst und vor allem in der Mode normal ist, viele Referenzen zu machen und Interpretationen aus den verschiedensten Bereichen zu entnehmen, ist die Quelle Demnas der Alltag und das, was er auf den Straßen sieht. Er spiegelt also wider, was die Menschen auf den Straßen wirklich tragen und besonders die, die mit Mode nichts am Hut haben.
Lange bevor die sogenannten Dad Sneaker Trend waren, waren es Schuhe, die von „Dads“ aus rein praktischsten Zwecken, wahrscheinlich an der Supermarktkasse, getragen wurden. Demna entdeckte das und kreierte – im Gegensatz zu dem Sock-Sneaker-Trend, den ebenfalls Balenciaga in die Welt setzte – einen Sneaker inspiriert von den klobigen Schuhen. Er stapelte dafür drei Sohlen übereinander und schaffte so eine komplett neue Silhouette für die High Fashion Welt – Der Dad Sneaker als der IT-Schuh wurde geboren.
So eine Reflektion der Mode auf den Straßen mit einem exzentrischen Twist ist charakteristisch für Demna. Er sieht beispielsweise, wie Menschen Kleidung Layern, um sich warm zu halten, und integriert das in seiner Kollektion FW18 oder ein weiteres Beispiel in der neuesten Kollektion: ein Geldbeutel, getarnt als Reisepass. Sehr berühmt ist auch eine Abänderung des Logos von Bernie Sanders und seiner Wahlkampagne für seine Marke.
Zusätzlich macht er Kollaborationen mit Crocs, Fortnite, den Simpsons, etc., weil er so die Popkultur verkörpert und das wiedergibt, was uns bereits im Alltag umgibt. Im selben Zug spiegelt er die Popkultur nicht nur wider, sondern wird selbst ein Teil davon. Auf die Fragen nach der Rolle der Luxusmarke in Popkultur erklärte Demna in einem Vogue-Interview:
„Often in my work I reference things that are somewhat mundane and relatable and easy to understand, and over time, that approach is why we’ve become associated with pop culture.“
Demnas Prinzip der Reflexion der Popkultur und des Alltäglichen erinnert sehr an Pop Art. Angefangen in den 1950ern und den Höhepunkt in den 60ern, war Pop Art geprägt von der Nachkriegszeit und der Konsumgesellschaft. Es war eine Zeit, in der Konsum zu einem Lifestyle wurde.
Andy Wahrhol gilt bis heute als einer der Pioniere der Pop Art, zu seinen Werken gehörten die gedruckten bunten Portraits der Dosensuppen Bilder. Er reflektierte Alltägliches und Bekanntes – er spiegelte unsere Popkultur wider und wurde gleichzeitig zur Popkultur. Damit setzte er der Gesellschaft sozusagen einen Spiegel vor und übte so Kritik an unserer Konsumgesellschaft. Mit derselben indirekten Kritik und Ironie geht Demna an seine Arbeit ran. Das Ziel ist, zu polarisieren, aufzufallen und einen Diskurs zu starten.
Aus trash wird cool
Geprägt von Ironie und einer Prise Absurdität kann er außerdem die Frage stellen, was Luxusmode darf und wie der Wert definiert wird. Ähnlich wie beim Dadaismus, eine Kunstbewegung aus den 20ern, die sich mit Absurdität und Humor die Frage stellte, was Kunst darf und was nicht und sich gleichzeitig über das lustig machte, was als das bezeichnet wurde.
Das berühmte Werk von Marcel Duchamp, der ein Pissoir als ein Kunstwerk kennzeichnet, hebt genau das hervor: Was darf Kunst sein? Und darauf gibt es eine ganz einfache Antwort: Alles und gleichzeitig nichts. Der/Die Künstler:in hat so entschieden und es in den künstlerischen Kontext gestellt – die Idee dahinter ist also das ausschlaggebende und nicht das Objekt an sich. Ganz nach den Prinzipien des Dadaismus macht Demna aus absurden Objekten High Fashion. Er hat sich entschieden eine Mülltüte als High Fashion für 1.400 Euro zu verkaufen und deswegen ist es das. Damit untergräbt er Exklusivität, weil alles High Fashion werden kann, egal wie banal es ist. Er nimmt sich immer wieder selbst und die Modeindustrie aufs Korn und testet gleichzeitig die Grenzen aus.
Schockfaktor
Außerdem spielen Emotionen eine große Rolle: Er will schockieren. Es ist dabei völlig egal, ob seine Arbeit gut oder schlecht ankommt, wichtig ist, dass sie Emotionen auslöst und man darüber spricht. Die Paris Sneaker, die eigentlich nur ein paar demolierte Converse mit einem Filzstift Schriftzug „Balenciaga“ sind, sind superteuer und fordern förmlich heraus, dass Menschen wütend werden. Zerstörte Sneaker, die für mehrere hundert Euro verkauft werden, sind in den Augen vieler lächerlich und keine Kunst mehr. Es wirft die Frage auf, wer sowas überhaupt für einen solchen Preis kauft. Trotz all der Aufruhr: Sie wurden verkauft und sogar nachgestellt. So polarisiert Demna, macht sich gleichzeitig über die Sneakerindustrie lustig und verspottet sie, während er obendrein von den Verkäufen profitiert.
Schlussendlich ist das Spannende daran, wie er diese unbehaglichen Emotionen auslöst, aber das auf so eine Art und Weise macht, dass man diese absurden Stücke trotzdem besitzen möchte.