Zwischen Kunst und Alltag
Sind Wohnen, Kunst und Design überhaupt voneinander zu trennen? Vor allem die Künstler der Bauhaus-Bewegung zelebrierten das Spiel mit dem Hybriden, mit medienübergreifenden Grenzgängen zwischen Design und Kunst, Form und Funktion. „Es gibt keinen Wesensunterschied zwischen dem Künstler und dem Handwerker“, hatte Walter Gropius 1919 im Gründungsmanifest des Bauhauses erklärt und eine Vereinigung aller Künste angestrebt. Beeinflusst vom Modernismus, der britischen Arts-and-Crafts-Bewegung und dem Konstruktivismus, schuf etwa die deutsche Bauhaus-Künstlerin Anni Albers ihr vielseitiges Werk in erster Linie in der Technik des Webens.
Bis heute brechen zeitgenössische Künstler immer wieder aus ihrer üblichen Praxis aus und befassen sich experimentell mit dem Design von Alltagsobjekten. Ein Virtuose des Cross-over ist der kubanische, in Los Angeles lebende Künstler Jorge Pardo, der sich seit Anfang der neunziger Jahre in seiner künstlerischen Arbeit zwischen Kunst und Design bewegt. Für ihn schließen sich die beiden Kategorien nicht aus und sowohl die von ihm entworfenen Lampen wie auch seine großen Rauminstallationen haben neben ihrem künstlerischen auch einen Gebrauchswert.
Künstler “mit der Frage der Funktionalität zu konfrontieren”, darum geht es auch bei dem französischen Verlagshaus “We Do Not Work Alone”, das seit 2015 alltägliche, von Künstlern designte Objekte produziert. Darunter findet sich zum Beispiel eine nicht ohne Ironie entworfene weiße Butterschale des österreichischen Künstlers Erwin Wurm. Die Keramik ist eine direkte Anknüpfung an Wurms Skulptur “Fat House” von 2003, ein “verfettetes” Einfamilienhaus, das kleinbürgerliche Statussymbole und unsere Konsumgesellschaft kritisiert.
Auch die deutsche, in London lebende Malerin Sophie von Hellermann gehört zu einer jungen Generation von Künstlern, die sich anderen Medien öffnen. Sie ist bekannt für ihre großformatigen, romantischen Leinwände, die oft komplexe Erzählstränge vermitteln und in internationalen Galerien und Museumshäusern wie dem Pariser Centre Pompidou ausgestellt werden. Eine ihrer neuesten Arbeiten ist jedoch kein Gemälde, sondern ein Textildesign mit schwebenden, traumähnlichen Figuren in blassem Blau. “Swim Together” lautet der Titel des Designs, das in Kollaboration mit “Saison International” entstanden ist, einem neuen Projekt, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, zeitgenössische Kunst auf Stoffe zu übersetzen.
Für die erste, exklusive und limitierte Kollektion haben neben Sophie von Hellermann zwei weitere renommierte und international vertretene Künstler besondere und zeitlose Textildesigns entworfen: ein monochromes florales Design vom britischen Künstler Paul Morrison, und ein farbenfrohes, geometrisches Muster vom deutschen Künstler Lothar Götz. Die dabei entstandenen Stoffe können als Meterware auf der Anfang April gelaunchten Website von Saison International erworben werden. “Die Möglichkeit, ein paar Meter Stoff zu kaufen, und damit zu Hause zu machen, was Sie wollen, hat etwas sehr Offenes und Demokratisches”, sagen Eleanor Wright und Sam Watson, die Gründer von Saison International, die als Künstler und Kuratorenpaar in London und Antwerpen leben. Mit ihrem Konzept möchten Sie es ermöglichen, die Beziehung zu den Räumen, in denen wir leben, durch Kunst zu intensivieren. Die Meterware, die sich zum Beispiel für Wohnaccessoires wie Polstermöbel eignet, wird ergänzt durch eine Auswahl limitierter Readymades.
Die Idee, Kunst für möglichst viele Menschen zugänglich zu machen und zu einem integralen Wohnelement werden zu lassen, vertreten auch Kate Hawkins and Sarah McClean von “Common Room”. Für Ihre von Künstlern entworfenen Tapetendesigns haben Sie unter anderem mit der polnisch-britischen Konzeptkünstlerin Goshka Macuga zusammengearbeitet. Die Vorlage von Goshkas Tapetendesign ist ein Scan der Fäden auf der Rückseite eines ihrer großformatigen Wandteppiche. Während die Vorderseite eines Wandteppichs einem Gemälde gleicht, richtet sie den Blick auf das Handwerk, die Fäden und Knoten. Goshka, deren Arbeiten in internationalen Museen wie der Londoner Tate Britain und der Kunsthalle Basel gezeigt wurden, zeigt mit ihrem Design, wie ein Kunstwerk entsteht und was es zusammenhält.