Arrow De Wilde, die momentan aufregendste Frau in der Rockmusik im Interview
Arrow De Wilde wurde das Rock `N Roll-Gen quasi in die Wiege gelegt: Schon von kleinauf begleitete sie ihre Mutter, die renommierte Fotografin und Regisseurin Autumn De Wilde auf Shootings von Acts wie den White Stripes, Death Cab For Cutie oder Beck. Und auch von ihrem bekannten Vater, dem Schlagzeuger Aaron Sperske konnte sie sich bei Konzerten und im Studio so einiges abschauen. Aufgewachsen im Nordosten von Downtown Los Angeles fühlt sich die heute 23-Jährige seit jeher vom legendären Hollywood Boulevard angezogen – von den weltberühmten Sehenswürdigkeiten ebenso, wie auch den dunklen Ecken abseits der grell erleuchteten Glitzermeile.
Eine Kindheit zwischen der funkelnden Strahlkraft des Walk Of Fame oder dem Grauman`s Chinese Theatre einerseits, und der morbiden Anziehung des gruseligen Museum Of Death mit Ausstellungsstücken von Serienkiller Ted Bundy oder dem nur wenige Blocks entfernten Hollywood Forever Cemetery, auf dem zahlreiche Film- und Musikikonen wie Schauspielerin Judy Garland oder Beatles-Gitarrist George Harrison zur letzten Ruhe gebettet wurden. Ein Hell-Dunkel-Kontrast, der sich heute auch im Sound ihrer 2015 gegründeten Band Starcrawler widerspiegelt. Nachdem sich das Quintett mit seinen ersten beiden Alben eine weltweite Fanbase erspielt hat, veröffentlichen die US-Rocker nun ihren dritten Longplayer „She Said“.
Bei Konzerten werden Sie oft als Schnittmenge aus Courtney Love und Iggy Pop charakterisiert, die aufdringlichen Handyfilmern schon mal das Smartphone aus den Händen tritt. Ganz direkt gefragt: Ist die Rockmusik im Jahr 2022 zu langweilig geworden?
Arrow De Wilde: "Vielleicht. Ich möchte die Leute bewegen und ihnen eine Show bieten, die sie nie mehr vergessen. Viele Bands stehen heute nur noch rum und spulen ihr Programm runter; das ist nicht unsere Vorstellung von guter Unterhaltung. Auf der Bühne werde ich zu einer anderen Person, die ich manchmal nicht kontrollieren kann. Wie ein Rausch, in dem ich mich fallenlasse und hinterher an nichts mehr erinnere. Es ist aber mittlerweile schon etwas länger her, seitdem das letzte Handy zu Bruch ging...
Mit welchen Vorbildern sind Sie aufgewachsen?
Arrow De Wilde: "Mit Bands wie den Yeah Yeah Yeahs, den Runaways oder L7. Unerschrockene Chicks, die sich ihren Raum genommen und eine sehr selbstbewusste Form der Weiblichkeit verkörpert haben. Ein großer Einfluss war auch meine Mutter, die mich immer meine eigenen Erfahrungen hat machen lassen. Und meine eigenen Fehler.
Bei zwei Elternteilen in der Entertainmentbranche war Ihr Weg sicher sehr früh vorgezeichnet...
Arrow De Wilde: "Ich wusste immer, dass ich mich künstlerisch ausdrücken wollte. Meine Leidenschaft für die Musik entdeckte ich allerdings erst so richtig, als ich auf die Highschool kam. Als kleines Mädchen hatte ich absolut kein Interesse an Musik. Meine Mutter hat verzweifelt versucht, mich für Klavierstunden zu begeistern – und ich habe es aus vollem Herzen gehasst, sondern lieber gezeichnet oder gemalt. Als ich dann zum ersten Mal einen Song von Ozzy Osbourne hörte, war ich sofort infiziert und wusste, dass ich Sängerin werden wollte."
Sie gründeten Starcrawler im Alter von erst 15 und standen bereits in jungen Jahren im Spotlight. Eine Zeit, die Sie in dem Song „Toy Teenager“ aufarbeiten.
Arrow de Wilde: "Mein halbes Leben versuchen irgendwelche Agenten mich zu überreden, in irgendwelchen Werbekampagnen mitzumachen. Ab einem gewissen Punkt nahm es wirklich beängstigende Züge an. Ich will Musik machen und mich nicht zu einem Kleiderständer degradieren lassen. Ich habe nichts gegen Fashion, aber das Modeln finde ich irgendwie weird und ein wenig beklemmend. Die Leute sollen mich für meine Songs akzeptieren und nicht nur für meinen Körper oder die Tatsache, dass mir gewisse Klamotten gut passen."
Ihr neues Album trägt den Titel „She Said“. Wie haben sich die Aufnahmen gestaltet?
Arrow de Wilde: "Die ersten Songs entstanden während des Lockdowns. Als es einigermaßen sicher erschien, uns wieder zu treffen, haben unser Gitarrist Henri und ich die Stücke durch ein offenes Fenster komponiert. Er stand draußen vor meinem Haus mit seiner Gitarre, ich saß auf dem Fensterbrett. Fast wie Romeo und Julia. Meine Nachbarn dachten sicher, wir wären völlig verrückt geworden."
Gab es neue Talente oder schlechte Angewohnheiten, die Sie während der Pandemie entwickelt haben?
Arrow de Wilde: "Ich hatte eine echte Schreibblockade. Ich habe versucht, neue Songs zu schreiben, doch nichts passierte. Dann fing ich an, selbst zu kochen, zu backen und mich um den Sandstreifen vor unserem Haus zu kümmern, den ich langsam in einen kleinen Garten verwandelt habe. Das hat mir geholfen. Sobald die ersten Pflanzen sprossen, fingen auch meine kreativen Säfte wieder an zu fließen. Dieses schmale Stückchen Land hat mich davor bewahrt, komplett durchzudrehen."
Was wächst denn im Garden De Wilde?
Arrow de Wilde: "Verschiedene Gemüsesorten und Blumen. Hoffe ich zumindest. Seitdem wir wieder ständig auf Tour sind, habe ich ihn nicht mehr zu Gesicht bekommen ..."
Wie entstehen Ihre Songs?
Arrow De Wilde. "Es gibt kein festes Rezept. Manchmal taucht Henri mit einem Stapel Lyrics oder einer Gitarrenmelodie auf, in anderen Fällen lasse ich mich von alten Büchern inspirieren. Ich sammle interessante Wörter oder Sätze, an denen ich beim Lesen hängenbleibe. Wir schauen dann gemeinsam, wie sich alles zu einer zusammenhängenden Geschichte vereinen lässt.
Welche Art Bücher stehen in Ihrem Regal?
Arrow De Wilde:: "Obwohl ich eine Unmenge besitze muss ich gestehen, dass ich keine große Leseratte bin. Ich bin aber ein großer Fan von Edgar Allen Poe. Ich liebe seine besondere Sprachästhetik und die seltsamen Begriffe, die er verwendet. Auf einer unserer letzten Tourneen haben wir sein Haus in Philadelphia besucht, das nur ein paar Blocks von unserem Auftrittsort entfernt war. Ein typisches Ostküsten-Gebäude im viktorianischen Stil, das mittlerweile zu einem Museum umgebaut wurde. Außerdem habe ich noch ein paar Bücher über Hexenkünste und ähnliche Dinge. Ich mag aber auch ganz normale Autoren wie Mark Twain."
Findet sich diese Faszination für alles Morbide auch außerhalb Ihrer Musik?
Arrow De Wilde: "Definitiv. Schon als kleines Mädchen hatte ich ein Faible fürs Unheimliche. Ich sammle gruseliges Zeug wie alte Puppen und Tarotkarten. In jeder Ecke liegen irgendwelche seltsamen Dinge wie Voodoo-Puppen, antike chinesische Opiumpfeifen oder der neueste Zugang zu meiner Kollektion: Ein super furchteinflößender Holz-Jesus aus dem 17. Jahrhundert. Er hing ursprünglich in einer Kirche in Südamerika. Er hat echtes Haar und jede Menge blutender Wunden. Leider kann ich ihn nicht aufhängen, weil er so zerbrechlich ist. Im Moment liegt er auf einem weichen Kissen neben der Couch und verstört meine Gäste."
Einen wichtigen Einfluss stellt auch Ihre Heimatstadt Los Angeles und insbesondere Hollywood dar...
Arrow De Wilde: "Mich fasziniert der Kontrast aus Glam und Tragik. Mein Dad lebte damals in der Gegend nahe des Hollywood Boulevards. Auf den ersten Blick sieht man nur die glitzernde Seite und den Luxus. Schaut man näher hin, erkennt man auch die unschönen Facetten. Drogen, Gewalt, den Dreck, die geplatzten Träume derjenigen, die hierher kamen und gescheitert sind. Diese Mischung aus Glamour und Trash findet sich auch in unserer Musik wieder. Das Leben in L.A. ist ein Hauptmotiv unserer Songs. Man erlebt in dieser Stadt so viel krankes Zeug; an jeder Ecke gibt es genug Futter für neue Stücke. Außerdem bin ich mit all diesen morbiden Erzählungen aus dem Hollywood der 1920er und -30er Jahre groß geworden. Mit Geschichten über Selbstmörder, die sich vom Hollywood-Schriftzug gestürzt haben oder mit dem blutigen 'Black Dahlia'-Mord. Wir haben auch schon auf dem berühmten Hollywood Forever Cemetery gespielt, wo mein Held Dee Dee Ramone begraben liegt. Mein Plan ist, eines Tages selbst zwischen diesen coolen Leuten zu ruhen – und zwar in einem von diesen altmodischen Särgen, die man immer in alten Vampirfilmen sieht!"