Im Gespräch mit Dr. med. Andel Douedari über die Mythen und Trends in der Ernährung
Im Interview mit L'Officiel Austria spricht Dr. med. Andel Douedari über die bedeutende Rolle der Ernährung als Eckpfeiler der Gesundheit und beleuchtet ein Feld, das in seiner Komplexität noch nicht vollständig erschlossen ist. Von der Definition einer gesunden Ernährung über die Risiken industriell verarbeiteter Lebensmittel bis hin zu den Grenzen der Ernährungswissenschaft -ermöglicht er uns tiefere Einblicke in eine Thematik, deren Tragweite in der modernen Gesundheitsdiskussion stetig zunimmt.
Definition von Gesundheit: Wie definieren Sie "gesunde Ernährung" aus medizinischer Sicht und was sind die Hauptkomponenten, die sie ausmachen?
Dr. Andel Douedari: „Grundsätzlich dient die Ernährung der Versorgung mit sogenannten Makro- und Mikronährstoffen. Makronährstoffe sind die Grundbausteine unseres Körpers, also Fette, Kohlenhydrate (Zucker) und Eiweiße (Proteine). Mikronährstoffe bilden Substanzen ab, die unser Körper für das Wahrnehmen seiner Funktion benötigt, also Stoffe wie Vitamine und Mineralien/Spurenelemente. Ein Mangel führt zu Krankheiten. Doch gibt es Substanzen noch außerhalb der oben genannten Nährstoffe, speziell Ballastoffe, die zu gesundheitsfördernden Substanzen wie die die kurzkettigen Fettsäuren1 (short chain fatty acids, SCFA) vom Mikrobiom (Darmflora) fermentiert (verarbeitet) werden als auch sekundäre Pflanzenstoffe wie Polyphenole, die zellschützende Effekte ausüben2.
Ich werde versuchen das Ganze mal stark vereinfacht kurz zusammenzufassen:
Die evidenzbasierte Untersuchung von gesundheitsfördernden Ernährungsgewohnheiten basiert verschiedensten Studien mit verschiedenen Populationen und Beobachtungszeiträumen. Hier aufzuzählen ist einmal die sogenannte mediterrane Ernährung, die DASH (Dietary Approaches to Stop Hypertension) als auch die MIND (Mediterranean-DASH Intervention for Neurodegenerative Delay), welche eine Kombination aus mediterraner Ernährung und DASH darstellt.3 Grundlage dieser Ernährungsformen sind eine Kombination aus unprozessierten, pflanzlichen Lebensmitteln mit unverarbeiteten pflanzlichen Ölen, viel Gemüse/Früchten, Vollkorngetreide, Nüssen und fettarmen Milch- und Fleischprodukten als auch Fisch. Sehr ähnliche Parallelen zeichnen sich auch in der Healthy Nordic als auch traditionellen asiatischen Ernährungsformen ab. Grundlage sind neben der Abdeckung der oben genannten Makro- und Mikronährstoffe in Form von fettarmen tierischen Eiweißquellen und pflanzlichen Fettquellen sowie Fisch mit möglichst ungesättigten Fettsäuren die Bereitstellung von Ballastoffen, aus denen SCFA gewonnen werden kann als auch die Zufuhr von antioxidativ wirkenden sekundären Pflanzenstoffen.“
Ungesunde Ernährung: Welche spezifischen Nahrungsbestandteile oder Ernährungsgewohnheiten betrachten Sie als besonders schädlich für die Gesundheit und warum?
Dr. Andel Douedari: „Ungesund sind vor allem prozessierte Nahrungsmittel, also Nahrungsmittel, die industriell hochverarbeitet sind. Diese Lebensmittel sind meistens mit Lebenmittelzusatzstoffen zugesetzt, die sich negativ auf unsere Gesundheit auswirken. Es gibt viele Analysen, dass der in der Literatur häufig als „western diet“ beschriebene Ernährungsstil für diverse metabolische und kardiovaskuläre Erkrankungen wie Diabetes mellitus Typ II und Bluthochdruck mit verantwortlich sind.4 Weiterführend sind die negativen Effekte auch für die Begünstigung von Autoimmunerkrankungen festgestellt worden (also Erkrankungen, wo sich das Immunsystem gegen den eignen Körper richtet).5
Es gibt jedoch keine klare Einteilung, was genau als prozessiertes Nahrungsmittel gilt und was nicht.6 So könnte man Magerquark als prozessiertes Lebensmittel bezeichnen, meistens handelt es sich aber dennoch um ein gesundes Lebensmittel ohne das Vorhandensein von Lebensmittelzusatzstoffen, während ein „Proteinquark“ schon eher als prozessiert gelten kann, da hier Geschmacksstoffe und Süßstoff zugesetzt sein kann. Grundsätzlich gilt die Faustregel, je „ähnlicher“ das Lebensmittel seinem Ursprung ist, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass es nicht ungesund ist. Ein Blick auf die Zutatenliste ist hier sehr hilfreich, je länger die Zutatenliste und je unbekannter bzw. „komplizierter“ die Namen der Zutaten, desto eher handelt es sich um ein prozessiertes Lebensmittel. Besonders möchte ich hier auf Lebensmittel verweisen, die als gesund oder zum Abnehmen vermarktet werden. Diese sind zwar in der Regel etwas weniger schädlich als das ebenso prozessierte Gegenstück (Beispiel: Proteinriegel und Schokoladenriegel), sind aber per se wegen der Zusatzstoffe und ultraprozessierter Herstellungsart in der Regel auch alles andere als gesund.“
Moderne Mythen: Welche gängigen Ernährungsmythen begegnen Ihnen häufig in Ihrer Praxis, und wie gehen Sie damit um?
Dr. Andel Douedari: „Es gibt vieles, was noch sehr unklar ist. Wie zum Beispiel die empfohlene Menge von Eiweißen. Die DGE hat z.B. im Jahre 2020 ihre Empfehlung für Sportler angepasst und die empfohlene Eiweißzufuhr auf 1,2 bis 2,0 g/KgKG erhöht.7 Sehr in Mode sind jedoch sogenannte „High Protein“ Produkte zum Abnehmen. Es gibt belastbare Daten bezüglich des Gewichtsverlustes und einer proteinreichen Ernährung8. Dennoch sollte man kritisch hinterfragen, ob es gut ist, wenn man hierfür auf prozessierte Nahrungsmittel zurückgreift, insbesondere im Kontext der oben genannten Auswirkungen prozessierter Nahrung. Dasselbe gilt für die Einnahme von Süßstoffen, die sich negativ auf das Mikrobiom (Darmflora) auswirken9 und so auch Autoimmunerkrankungen wie Morbus Crohn begünstigen können.10
Oft werden auch Low-Carb Diäten versucht. Grundsätzlich ist nicht unbedingt zwingend hiervon abzuraten, wobei das langfristige Durchhalten dieser Ernährungsform fragwürdig ist, wobei die Langzeit-Effekte diesbezüglich noch unklar sind, es aber gute Daten für einen positiven Einfluss auf die Glukosetoleranz gibt11. Auch hier gilt es aber zu beachten, dass man sich möglichst frei von prozessierter Nahrung ernährt und auf eine ausreichende Zufuhr von Ballaststoffen und sekundären Pflanzenstoffen achten sollte.“
Limitationen der modernen Ernährungswissenschaft: Gibt es aktuelle Grenzen oder Unklarheiten in der Ernährungswissenschaft, die es schwierig machen, konkrete Ratschläge zu geben?
Dr. Andel Douedari: „Es gibt sehr viele Limitationen. Die evidenzbasierte Untersuchung von Ernährung hat viele Probleme. Zum einen kann man Studien zu Ernährung nicht verblinden, d.h. Untersucher und Untersuchte wissen immer was Sie zu sich nehmen und können so die Messergebnisse ungewollt verfälschen. Außerdem muss man immer weitere Faktoren des Lebensstils herausrechnen (Z.B. wie viel Sport machen die Menschen? Welchen Einfluss haben Alkohol und Nikotinkonsum?).
Bestimmte Paradigmen ändern sich auch: So hat man sehr lange gesättigte Fettsäuren als Verantwortliche für kardiovaskuläre Erkrankungen gesehen (das Paradigma wurde in den 1950er Jahren etabliert). Dies ist auf den aktuellen Daten nicht so einfach so postulieren und verbleibt unklar.12
Auch wissen wir relativ wenig über individuelle Unterschiede. Wir wissen, dass Menschen z.B. ein sehr unterschiedliches Mikrobiom aufweisen, empfehlen aber allen Menschen mehr oder weniger dasselbe zu Essen. Wirkliche groß angelegte Untersuchungen, ob Menschen aus anderen Regionen mit anderen Lebensstilen anders auf dieselbe Nahrungsmittel reagieren gibt es nicht.
Spanend fande ich auch das Konzept einer Studie aus 2020, dass fermentierte Nahrungsmittel wie Kimchi oder Sauerkraut das Mikrobiom positiv beeinflussen.13 Hier hat man eine ballastoffreiche Ernährung mit einer Ernährung reich an fermentierten Nahrungsmitteln für 17 Wochen verglichen, wobei letztere zu einer höheren Diversität vom Mikrobiom und einem geringeren Maß an Entzündung führte. Dies zeigt uns, dass wie die Details und vor allem Zusammenhänge zwischen Ernährung und Mikrobiom nur begrenzt verstehen und anwenden können.“
Ausblick auf die Zukunft: Wie sehen Sie die Zukunft der Ernährungsforschung? Gibt es bestimmte Trends oder Technologien, die die Art und Weise, wie wir über Ernährung denken, revolutionieren könnten?
Dr. Andel Douedari: „Die Ausblicke ergeben sich aus meinen zuvor dargestellten Fragestellungen: Welche Rolle spielen gesättigte Fettsäuren? Für wen empfehlen wir welche Art von Ernährung? Warum vertragen manche Menschen keine ballaststoffreiche Ernährung und bekommen Bauchschmerzen? Welche Rolle spielen hier fermentierte Lebensmittel? Was ist die genaue Rolle von rotem Fleisch und warum gibt Fallberichte über Menschen, die auf eine reine Diät mit Fleisch sich besser fühlen, obwohl Studien eher das Gegenteil zeigen? Wie können wir Ernährung und Darmflora verbinden und individualisierte Ernährungsempfehlungen auf dem Boden vom Mikrobiom treffen? Und wie können wir dies Erkrankungsspezifisch ausweiten (z.B. Anwendungen bei metabolischen Erkrankungen wie Diabetes mellitus Typ II oder auotimmunen Erkrankungen wie Morbus Crohn)?
Eine Reihe an Fragen, die wir nur durch Grundlagenforschung im Labor und klinische Studien beantworten können. Schlüsseltechnologien könnten hier neben der weiteren Erforschung vom Mikrobiom Technologien wie die Identifizierung und gezielte Manipulation vom Mikrobiom über die Gabe spezielle Bakterienspezies oder Methoden wie die Stuhltransplantation auch die Erforschung gezielter Ernährungsinterventionen interessant sein.“
Dr. med. Andel Douedari absolvierte sein Studium für Humanmedizin an der Charité Universitätsmedizin Berlin. Aktuell vertieft er sein Wissen in der Fachausbildung für Innere Medizin und Gastroenterologie am Waldfriede Krankenhaus Berlin. Hierbei beschäftigt er sich unter anderem mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa.
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