Ein Ort der Hoffnung
Im Zentrum des weltweiten Kampfes gegen weibliche Genitalverstümmelung (FGM) steht eine Frau, deren Geschichte Millionen berührt und inspiriert hat: Waris Dirie. Ich sprach mit ihr und Dr. Cornelia Strunz über die Arbeit der Desert Flower Foundation.
Geboren in Somalia, hat sie sich von einem Nomadenmädchen zu einem international anerkannten Model, einer Bestseller-Autorin und einer leidenschaftlichen Menschenrechtsaktivistin entwickelt. Als UN-Sonderbotschafterin gegen FGM (1997-2003) und Gründerin der Desert Flower Foundation im Jahr 2002 in Wien, hat Waris Dirie eine Plattform geschaffen, um das Bewusstsein für diese grausame Praxis zu erhöhen und die betroffenen Frauen zu unterstützen.
Das Desert Flower Center Waldfriede in Berlin, einzigartig in seiner Art und direkt angegliedert an die Foundation, bietet diesen Frauen nicht nur medizinische und psychologische Hilfe, sondern auch Hoffnung auf ein neues Leben. Dr. Cornelia Strunz, Oberärztin und ärztliche Koordinatorin des Centers, spielt eine zentrale Rolle in diesem Kampf.
In einem exklusiven Interview gewähren uns Waris Daries und Dr. Cornelia Strunz Einblicke in die Herausforderungen und Erfolge ihrer Arbeit.
Frau Dirie, welche Veränderungen oder Verbesserungen im Kampf gegen FGM haben Sie seit der Gründung Ihrer Foundation beobachtet?
Waris Dirie: "Als wir 2002 die Desert Flower Foundation gegründet haben, wussten nur wenige Menschen über weibliche Genitalverstümmelung (FGM) Bescheid. Heute weiß die ganze Welt über dieses grausame Verbrechen an Mädchen und Frauen. 2002 hatten nur vier afrikanische Staaten ein Gesetz gegen FGM. Heute haben nur noch vier afrikanische Staaten kein Gesetz gegen FGM. Zum Glück hat sich viel getan. Vieles hat sich zum Guten verändert. Aber wir sind noch lange nicht am Ziel. Während in Afrika die FGM-Zahlen zurückgehen, steigen sie bei uns in Europa. Das heißt: FGM ist mitten unter uns."
Welche Prioritäten setzen Sie für Ihre Foundation in den nächsten Jahren?
Waris Dirie: "Das Wichtigste ist, immer wieder Bewusstsein für unseren Kampf gegen FGM zu schaffen. Das funktioniert am besten mit Aufklärung und Kampagnen. Vor Kurzem wurde „Samia“ fertiggestellt, ein Film, an dem ich mitgewirkt habe und der vor den Olympischen Sommerspielen 2024 in Paris uraufgeführt werden soll. 2023 haben wir „Heimat by Waris Dirie“, ein über 2.000 Quadratmeter großes, hochmodernes Fitness- und Wellness-Center nur für Frauen, im Herzen von Paris eröffnet. Mit eigenem Theater und Kino mit 200 Plätzen. In diesem Jahr werden wir dort Filmvorführungen, Podiumsdiskussionen, Tanz- und Musikaufführungen sowie Lesungen und Vernissagen veranstalten. Mein Musical „Wüstenblume“, das 2023 im Deutschen Theater in München aufgeführt wurde, wird durch Europa touren und hoffentlich bald in London und New York City zu sehen sein. Sie fragen sich wahrscheinlich: Was hat das jetzt mit FGM zu tun? Viel, sage ich Ihnen. Denn wir nutzen das alles als Multiplikator, um aufzuzeigen, um unsere Botschaft, den wichtigen Kampf gegen FGM, zu transportieren und zu verbreiten."
"Schon Nelson Mandela sagte: Bildung ist die mächtigste Waffe, die du verwenden kannst, um die Welt zu verändern." Waris Dirie
Frau Dr. Strunz, wie kam es zur Gründung des Desert Flower Centers, und welche Rolle spielte Waris Dirie dabei?
Frau Dr. Strunz: „Die Idee für das Center entstand aus der dringenden Notwendigkeit, Frauen, die an den Folgen von FGM leiden, ganzheitlich zu unterstützen. Die Initiative für die Zusammenarbeit mit der Desert Flower Foundation wurde maßgeblich durch Chefarzt Dr. Roland Scherer vorangetrieben. Seine Spezialisierung und sein Einsatz in Afrika waren zentrale Elemente bei der Initiierung dieser Partnerschaft. Waris Dirie, deren eigene Erfahrungen und Aktivismus das Thema weltweit ins Rampenlicht rückten, war ebenso entscheidend für die Gründung. Mit ihrem Engagement war es möglich, dieses einmalige Zentrum 2013 zu eröffnen, welches medizinische Versorgung, psychologische Betreuung und ein starkes Gemeinschaftsgefühl bietet.“
Welche speziellen Angebote und Programme bietet Ihr Zentrum den Frauen?
Frau Dr. Strunz: „Zu unseren Kernangeboten gehören operative Eingriffe, psychologische Betreuung und physiotherapeutische Hilfe. Einzigartig ist unser wöchentliches Schwimmtraining, das durch die Kooperation mit der Schwimmschule Seepferdchen4All ermöglicht wird. Dieses Angebot fördert nicht nur die physische Genesung, sondern stärkt auch das Selbstbewusstsein der Frauen. Ein weiterer wichtiger Bestandteil unserer Arbeit ist die Unterstützung durch Beraterinnen und Dolmetscherinnen, die eine essenzielle Brücke zwischen den Ärztinnen und den Patientinnen bilden und so die kulturellen und sprachlichen Barrieren überwinden helfen.“
Wie unterstützen Sie die Frauen finanziell bei der Behandlung?
Frau Dr. Strunz: „Die Kostenfrage ist eine große Herausforderung. Durch die Aufnahme von FGM in den medizinischen Diagnoseschlüssel der gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland konnten wir vielen Frauen helfen. Zusätzlich haben wir den Förderverein Waldfriede e.V. gegründet, der durch Spenden finanziert wird und die Kosten für nicht versicherte Patientinnen übernimmt.“
"Es reicht nicht aus, nur einmal im Jahr am Weltfrauentag auf die Unterdrückung von Frauen aufmerksam zu machen. Es muss ein tägliches Anliegen sein." Waris Dirie
Welche Rolle spielen Bildungsangebote in Ihrer Arbeit?
Waris Dirie: "Schon Nelson Mandela sagte: Bildung ist die mächtigste Waffe, die du verwenden kannst, um die Welt zu verändern. Bildung und Einkommen für Frauen sind absolut notwendig, um FGM nachhaltig aus der Welt zu schaffen. Nur eine wirtschaftlich unabhängige Frau wird sich nicht so schnell dem Druck einer Gruppe fügen. Die ärmsten Länder in Afrika haben nicht nur die höchste Analphabetenrate, sondern auch die mit Abstand höchste FGM-Rate. Bildung ist der Schlüssel bei unserer Arbeit. Alle unsere Desert Flower Patenmädchen sind nicht nur vor FGM und Zwangsverheiratung geschützt, sie erhalten auch eine Schulausbildung. In Sierra Leone wird gerade unsere fünfte Desert Flower Schule gebaut. Nach der Fertigstellung werden weit über 3.000 Mädchen und Jungen eine unserer Desert Flower Schulen besuchen."
Frau Dr. Strunz: „Mit unserem Fachbuch über FGM, das wir 2020 veröffentlicht haben, teilen wir unser Wissen und unsere Erfahrungen und bieten konkrete Strategien für den Umgang mit betroffenen Frauen. Zudem sensibilisieren wir durch das Desert Flower Magazin die Öffentlichkeit für das Thema FGM und zeigen die Erfolge unserer Arbeit auf.“
Im Kontext des Weltfrauentages, welche Botschaft möchten Sie an von FGM betroffene Frauen und allgemein an Frauen weltweit richten?
Waris Dirie: "Es reicht nicht aus, nur einmal im Jahr am Weltfrauentag auf die Unterdrückung von Frauen aufmerksam zu machen. Es muss ein tägliches Anliegen sein. Frauenrechte sind Menschenrechte. Ich war schon als kleines Mädchen eine Rebellin. Darum sage ich, Frauen dieser Welt, steht auf! Wir Frauen werden diesen Planeten retten. Love & Peace!"
Frau Dr. Strunz: „Das Desert Flower Center Waldfriede ist mehr als nur ein medizinisches Zentrum; es ist ein Symbol des Widerstands gegen FGM und ein sicherer Hafen für die betroffenen Frauen. Anlässlich des Internationalen Frauentags möchten wir betonen, dass jeder Schritt, den wir machen, ein Schritt hin zu einer Welt ist, in der Frauen und Mädchen frei von Gewalt und Diskriminierung leben können. Unsere Arbeit hier in Berlin, inspiriert durch Waris Diries unermüdlichen Einsatz, ist ein lebendiges Beispiel dafür, wie Einzelne und Gemeinschaften zusammenkommen können, um bedeutende Veränderungen herbeizuführen.“
Das Engagement der Desert Flower Foundation und des Desert Flower Centers Waldfriede und seiner Unterstützer, insbesondere das von Waris Dirie, ist ein starkes und zugleich leuchtendes Beispiel für die Macht der Hoffnung, des Mutes und der Solidarität. Während der Kampf gegen FGM fortgesetzt wird, bleibt das Zentrum ein wichtiger Akteur im globalen Bestreben, Frauen ein Leben in Würde und Freiheit zu ermöglichen.