Chanel Cruise
Was Kulissen anbelangt, war die Chanel Cruise 2019 wohl eine der spektakulärsten Schauen in der Geschichte des Labels. Jede Saison sehen wir aufs Neue, wie Karl Lagerfeld sein Talent für publikumswirksame Shows einsetzt und etwa einen riesigen Wasserfall aufbauen lässt, einen Raketenstart inszeniert oder das Pariser Grand Palais in einen Supermarkt verwandelt. In diesem Mai war die Konstruktion eines massstabsgetreuen Luxusliners namens La Pausa zu bestaunen und dazu eine Kollektion, die das Thema der gleichnamigen Saison zelebrierte.
Doch Lagerfeld hatte nicht nur die Idee mit dem Namen La Pausa, der im Hause Chanel eine lange Tradition hat, die auf die frühen 1930er-Jahre zurückgeht. Das Schiff teilt seinen Namen mit einer Villa, die der legendären Designerin Coco Chanel einst gehörte. Sie liegt zwischen Monte Carlo und Menton an der östlichen Côte d’Azur. Sie wurde 1928 vom Architekten Robert Streitz für Chanel und ihren Liebhaber Hugh Grosvenor, den zweiten Herzog von Westminster, erbaut. Der Entwurf ähnelte angeblich dem Kloster und Waisenhaus, in dem sie aufwuchs. Es war das einzige Zuhause, das sie je besass, bis es 1953 verkauft wurde. Zeitlebens erholte sich Coco Chanel vom Pariser Trubel, indem sie auf lange Jacht-Törns ging. Sie legte überall in Europa Zwischenstopps ein, von Venedig bis Monte Carlo. (Lagerfeld hat in beiden Städten bereits Schauen abgehalten.)
Dies ist nicht Lagerfelds erste Kollektion mit einem nautischen Thema. Im Dezember 2017 benutzte er den Hafen seiner Heimatstadt Hamburg als Bezugspunkt für seine Métiers-d’Art-Kollektion. Die neue Kollektion, könnte man sagen, ist nun der DNA des Hauses noch etwas näher.
Coco Chanel gilt allgemein als die erste Designerin, die eine Feriengarderobe für wohlhabende Kundinnen entwarf, zunächst 1919 im Badeort Deauville. Aufbauend auf diesem Erfolg, präsentierte sie dann Ende der Zwanzigerjahre die ersten Cruise Collections in ihrem Haus an der Rue Cambon in Paris.
Im Grund war es die erste Lifestyle-Kollektion, die auf die Vorliebe wohlhabender Müssiggängerinnen zugeschnitten war, während der Sommermonate auf dem Mittelmeer segeln zu gehen – was die Superreichen natürlich nach wie vor tun. Als Lagerfeld 1983 zu Chanel kam, waren Cruise Collections in der Branche so gut wie in Vergessenheit geraten. Der Designer machte sich daran, die Tradition wieder aufleben zu lassen, und gab den entscheidenden Anstoss zu einem Konzept, das womöglich zu den einträglichsten Kollektionen der Modemarken gehört.
Die Magie von Chanel lag schon immer in der Geschichte, die mit jeder Show erzählt wird. Und die Gäste wurden in gebührender Weise auf die Fantasiereise mitgenommen, während das Ge- räusch von Seemöwen, Nebelhörnern und knarrenden Tauen das Grand Pa- lais rund um das riesige Kreuzfahrtschiff erfüllte. Es scheint beinahe, als wollte Lagerfeld seine ganz persönliche Erfahrung wiedererstehen lassen. Er bekennt: «Meine früheste Erinne- rung ist nicht die an ein Schiff, sondern an das Geräusch eines Schiffs.»
In der diesjährigen Chanel Cruise Collection bekamen wir Sportswear-Looks mit Elementen aus der Sixties-Popkultur zu sehen, darunter Miniröcke, weisse Strumpfhosen und silberne oder weisse Mary-Janes. Für das nautische Thema der Kollektion liess sich Lagerfeld von den Designs inspirieren, die er in den Achtzigern für das Haus gemacht hatte, wobei er oft Marinehosen zu kleinen Jäckchen zeigte.
Zu sehen war da beispielsweise ein kleiner, weisser Pullover, signiert mit dem verschränkten C in Mohnrot. Gestreifte Hosen natürlich. Rustikal abgewandelte Kleider. Weisse Mary-Janes und ebenso weisse Baskenmützen auf den Köpfen der Hadid-Schwestern und anderer Models wie Barbara Palvin und Stella Maxwell. Der Gesamtlook ist hell, frisch und jugendlich, akzentuiert in zarten oder kräftigen Rosatönen, die auf einem deutlich von den Sixties inspirierten Minikleid, einer Baskenmütze, einer Tasche oder auf Outfits in komplett zerschnittenem blauem Denim zu sehen waren. Die Hände steckt man in die Taschen seines Minirocks oder eines weit geschnittenen, zerfransten Mantelkleids. Kostüme aus marineblauem Lurexgarn mit schwarzer Paspelierung erinnern an die Chanel-typische Handschrift.
Die dominierende Farbe war natürlich Königsblau, das auf Prints, Taschen und einem Musselinkleid zu sehen war – und auf dem T-Shirt, das an diesem Nachmittag allen glücklichen Anwesenden geschenkt wurde. Für den Abend gab es Pop-Akzente, Glitzer und sogar 80er-Anklänge, was auch für den Soundtrack der Show mit den Synthesizer-Klängen von My Mine galt, zusammengestellt von Michel Gaubert, dem treuen Sounddesigner des Hauses.
Im Mittelpunkt der Kollektion stand das «flexible Kleid» – ein Modell aus separatem Rock und Oberteil, das ein klein wenig Bauch enthüllt. Es gab auch eine Abendversion mit aufgestickten Matrosenstreifen. Besonders augenfällig an der Kollektion war die «Feminität» der Formen, etwa mit abgerundeten Schultern im Achtziger-Look, verkürzten Jacken, betonter Taille und Saumhöhen für ultralange Beine. Dann war es auch eine Kollektion, die den Kundinnen gefallen dürfte: weisse, abgesteppte Lacktaschen und maritime Taschen – Tau inklusive.
Nach der Vorführung am Pier erschien Lagerfeld, um dem Publikum gemeinsam mit seiner langjährigen Atelier-Designerin Virginie Viard zuzuwinken. Dann wurden die Gangways ausgefahren, die Zuschauer an Bord gebeten, und die Kulisse verwandelte sich in ein Partyschiff. An Deck gab es Austern, und Kapitän Karl hielt in einem weissen Fantasie-Ballsaal Hof.
Zu den Gästen zählten die Botschafter und Botschafterinnen des Hauses: Margot Robbie, Kristen Stewart, Lily-Rose Depp, Gaspard Ulliel, Caroline de Maigret, Clotilde Hesme und Alma Jodorowsky. Ebenfalls anwesend waren der chinesische Schauspieler und Sänger William Chan, die australische Schauspielerin Phoebe Tonkin, die japanische Schauspielerin Nana Komatsu sowie der englische Regisseur Steve McQueen. Am Ende fanden sich alle Zuschauer zum Dinner und einer langen Nacht auf der Tanzfläche an Bord des Schiffs ein.
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