Filler & Filter: Können wir unsere echten Gesichter nicht mehr sehen?
Wenn wir unser Gesicht verändern, um in die Öffentlichkeit zu gehen, sowohl virtuell als auch physisch, bedeutet das, dass wir unser echtes Gesicht nicht mehr akzeptieren?
Von den rosigen Wangen der Viktorianischen Zeit bis zum Heroin-Chic der 90er Jahre gab es schon immer ein Schönheitsideal. Heute sollen die Lippen möglichst voll sein, die Wangenknochen betont und die Nasen schmal. Nicht nur die Schönheitsideale, sondern vor allem die Methoden, sie zu erfüllen, wurden im Laufe der Zeit immer extremer. Aus der einfachen Akzentuierung mit Make-up ist eine Normalisierung von chirurgischen Eingriffen und Botox-Behandlungen geworden.
Für Sara Benamara, Model und Mitbegründerin der Body-Positive-Model-Agentur Spicee, liegt der Grund für die Entscheidung, sich einer Nasenoperation zu unterziehen, schon sehr weit zurück. Als eines von drei Kindern ausländischer Herkunft, in einer rein deutschen Schule, musste sie sich täglich Kommentare über ihre großen Lippen und ihre Nase anhören - sogar ihre Familie hänselte sie wegen ihrer Nase und ihrer Akne. "Schon als Kind habe ich gefragt: Kann man sich die Lippen kleiner machen lassen?", sagt sie. Heute gelten volle Lippen als Schönheitsideal, im Moment, aber die Nase bleibt ein Problem, auch wenn sie es nie auf ihren sozialen Medien kommentiert hat.
"Ich finde es unglaublich schwierig, Bilder auf sozialen Medien ohne Filter zu posten. Und wenn ich keinen Filter verwende, halte ich mir immer das Telefon vor die Nase. Manchmal schäme ich mich sogar, wenn ich Leute zum ersten Mal im echten Leben treffe und sie sehen, wie meine Nase aussieht." Valentina Belleza, ein Model, Influencerin und junge Mutter, entschied sich, ihre Nase machen zu lassen, lange bevor Instagram aufkam. Auf Facebook erhielt sie viele Nachrichten von Frauen, die von ihrer Erfahrung hören wollten. Heute beschreibt sie es als eine ihrer besten Entscheidungen, die ihr Selbstvertrauen immens gesteigert hat.
"Als ich mir die Lippen habe machen lassen, ich glaube, da war ich 20, war das Thema noch nicht so weit, dass man offen darüber gesprochen hat. Es reagierten noch viele mit Unverständnis dafür. Heute ist es ganz normal, sich Botox spritzen zu lassen. Ich finde aber, man sollte transparent damit umgehen, denn wem will ich ein perfektes Leben und perfektes Aussehen vorgaukeln? Natürlich würde ich lieber posten, was ich für gut halte, aber ich denke, man sollte trotzdem ehrlich darüber sein, dass man eine Schönheitsoperation hatte."
Die Entscheidung, sich einer Schönheitsoperation zu unterziehen, bleibt jedem selbst überlassen - doch in Zeiten, in denen Influencer wie Pipper Vospa dafür bezahlt werden, ihre sogenannten "Tweakments" zu promoten, muss man da nicht befürchten, wie sich das auf die Jüngsten auf diesen Plattformen auswirkt? Valentina: "Als 14-jähriges Mädchen kann man durch Filter aussehen, als wäre man in den 20ern, was sehr störend sein kann." Laut Dr. Benjamin Debuc, einem plastischen Chirurgen aus Paris, "sind Injektionsmittel normalerweise nicht dauerhaft, daher gibt es meist keine körperlichen Langzeitfolgen. Wenn man jedoch zu jung damit beginnt, kann das psychologische Auswirkungen haben - es kann eine falsche Wahrnehmung des Gesichts und des Alterungsprozesses fördern."
Natürlich kann man nicht verallgemeinern, dass alle sozialen Medien einen schädlichen Einfluss auf das Seelenleben junger Menschen haben. Eine Studie der britischen Gesundheitsorganisation Royal Society for Public Health (RSPH) und des Young Health Movement (YHM) erstellte eine Rangliste der beliebtesten sozialen Medien und ihrer Auswirkungen auf junge Menschen. Der klare Sieger mit den meisten positiven Bewertungen war YouTube, während Instagram den letzten Platz belegte. Instagram wurde als Plattform zur Selbstdarstellung beschrieben, setzt seine Nutzer aber auch stark unter Druck und vermittelt ihnen ein Gefühl der Unzulänglichkeit oder sogar soziale Ängste.
Die Gefahr ist, dass die zunehmende Verfälschung der Online-Welt durch Photoshop, Gesichtsfilter und Co. so weit in die reale Welt überschwappt, dass plastische Chirurgie, um das gesamte Erscheinungsbild zu verändern, zur Norm für die nächste Generation wird. Deshalb hat sich das norwegische Parlament für eine gesetzliche Kennzeichnungspflicht von bearbeiteten Bildern in sozialen Medien entschieden - ein Schritt in Richtung sichere Mediennutzung oder ein Schuss ins Blaue?
Valentina fügt hinzu: "Ich versuche, meinen Sohn so weit wie möglich von sozialen Medien fernzuhalten, aber er ist die Alpha-Generation, die in 10 Jahren im Teenageralter sein wird. Bis dahin wird sich noch einmal so viel ändern. Aber an welchem Punkt sind wir in der Lage, diese große Entscheidung für uns selbst abzuwägen? Vor allem, wenn es um stark das Aussehen verändernde Eingriffe geht. Wo Erziehungsinstitutionen versagen und die Stimme der Gesellschaft lauter ist als die unserer Eltern, könnte psychologische Beratung eine Methode werden, um dem späteren Bedauern einer stark verändernden Schönheitsoperation entgegenzuwirken.
Deppy Telikostoglou, der Mitbegründer von Spicee dazu: "Die Fettabsaugung ist beispielsweise eine der gefährlichsten Operationen überhaupt, und trotzdem entscheiden sich zahlreiche Menschen dafür, sie durchführen zu lassen. Heutzutage würde ich es nicht tun, aber als ich jünger war und das Geld hatte, hätte ich zugestimmt, ohne darüber nachzudenken."
Instagram kennzeichnet generell die Verwendung von Gesichtsfiltern in einem Bild, aber nicht bei bekannten Persönlichkeiten wie den Kardashians. Gerade bei der Gen Z können solche Selfies falsche Erwartungen an ihre Körperentwicklung und ihr Aussehen wecken. Social Media bietet zwar Raum für Diskussionen, Bildung und einen Ort, an dem sich Gleichgesinnte treffen. Die negative Seite sollte jedoch nicht unterschätzt werden. Neben dem Mobbing in der Schule gibt es auch das anonyme Mobbing im Internet. Für unsere Jüngsten ist die virtuelle Welt genauer, als wir uns vorstellen können, und dementsprechend hat sie auch einen starken Einfluss auf unser emotionales und körperliches Wohlbefinden im realen Leben. Sind wir deshalb so besessen von unseren Gesichtern und sind die sozialen Medien daran schuld, dass wir unser Aussehen heutzutage so extrem verändern wollen?
Dr. Debuc betont, wie wichtig es ist, über Injektionen aufzuklären: "Die erste Regel für mich ist, dass ich immer nur einen Teil auf einmal behandle und ich mache nie Botox und Hyaluronsäure gleichzeitig, weil es manchmal das Gesicht zu sehr verändern kann. Wenn man einen Teil des Gesichtes behandelt, verändert das auch den Rest des Gesichtes. Wenn zum Beispiel jemand mehr Volumen in den Wangenknochen und in den Lippen haben möchte, wird durch das Hinzufügen von mehr Volumen in den Wangenknochen auch die Architektur der Lippen leicht verändert und manchmal ist das schon genug für den Patienten." Manche Menschen tragen Make-up auf oder verwenden Filter, um ihre Gesichtszüge zu verbessern, und andere verändern ihr gesamtes Gesicht durch extremes Make-up oder eine Operation. Man muss zwischen aussehensanpassenden und aussehensverändernden Eingriffen und dem Grund für die Veränderung unterscheiden. Es ist seit langem eine Routineprozedur für Babys, die Ohren anliegende zu operieren. Aber warum wird ein solcher Eingriff als nicht schlimm angesehen und andere schon?
Sara: "Ich finde es in Ordnung, wenn Leute sagen, dass sie nicht natürlich aussehen wollen; es gibt auch Leute, die sagen, dass sie explizit unnatürlich aussehen wollen. Allerdings ist es wichtig, gerade als Influencerin, die Realität zu zeigen und darauf hinzuweisen, was an ihrem Online-Auftritt nicht natürlich ist."
"Schönheitsideale gab es schon immer, und die Menschen haben sich immer an ihnen gemessen. Sie verändern sich ständig durch viele verschiedene Einflüsse, nicht nur durch Social Media, sondern auch weil politische Dinge manchmal eine Rolle spielen. Deshalb finde ich es wichtig, sich zu überlegen, ob diese Schönheitsoperation, die ich machen möchte, nur ein Trend ist, oder ob sie mir in 10 Jahren noch gefällt. Deshalb ist die Aufklärung so wichtig." Wir suchen ständig nach Anerkennung, sowohl in unserem sozialen Umfeld als auch in den sozialen Medien. Aber bis zu welchem Punkt ist das normal, und wann wird es ungesund? Ist eine Meinung von einem Fremden so viel wert?
Besonders da die Gen Z viel Zeit auf Plattformen wie Tik Tok verbringt, wo es Filter gibt, die den Körper verschlanken und das gesamte Erscheinungsbild verändern, scheinen unsere Jüngsten gefährdet, ein ungesundes Verhältnis zu ihrem natürlichen Aussehen zu entwickeln. Der Hinweis, dass ein Bild bearbeitet ist, kann nicht ausreichen, wenn die visuelle Botschaft immer noch wünschenswert, aber unerreichbar ist. Wir müssen daher die Diskussion offen halten und aufhören, uns selbst und unserer Umwelt gegenüber so falsch zu sein - eine Operation für sich selbst ist viel wert, aber eine Veränderung für andere kann sich negativ auf alle um einen herum auswirken, wie Dr. Debuc betont: "Bei der plastischen Chirurgie geht es wirklich nur um die Patienten und ihre Gefühle. Wenn Patienten mich fragen 'was würden Sie tun', antworte ich nie, denn meine Wahrnehmung des Gesichts ist eine andere als ihre, und nur die Meinung des Patienten zählt. Ich frage sie zurück 'was stört Sie', damit ich weiß, wie ich es korrigieren kann."
Für die Gesellschaft ist es wichtig, offen über plastische und kosmetische Chirurgie zu sprechen - um aufzuklären und ein Bewusstsein zu schaffen für den präventiven Ansatz von Unterspritzungen, aber auch für die psychologischen Auswirkungen in bestimmten Altersstufen. Als Individuum, das sich für eine Behandlung entscheidet, ist es am wichtigsten, sich die Zeit zu nehmen, darüber nachzudenken und nur einen Schritt nach dem anderen zu tun, wie Dr. Benjamin Debuc betont: "Wir alle empfinden uns unterschiedlich und mögen oder mögen nicht alle Merkmale unseres Gesichts. Plastische Chirurgie kann helfen, die Komplexe loszuwerden und das Selbstvertrauen zu stärken, aber es ist wirklich wichtig, immer nur einen Teil des Gesichts zu behandeln und sich Zeit zum Nachdenken zu lassen."
Fotos: Elia Pellegrini