Eine politisch inkorrekte Ikone: "Helmut Newton Legacy" im Kunstforum Wien
Helmut Neustädter, geboren am Beginn der Roaring 20s in Berlin, war als Sohn einer jüdischen Knopffabrikantenfamilie ein Start ins Leben mitgegeben, der seine Jugend nicht einfach machte. Helmut Neustädter musste fliehen. Allerdings nicht in die USA, sondern in die andere Richtung, gen Osten. Helmut blieb der alte, Newton war Teil der neuen Identität. Könnte man meinen, er hätte nur im Big Apple seine Karriere starten können, dem wird man mit der Tatsache verblüffen, dass es Australien war, das Newton nach seiner Flucht vor den Nazis als neue Heimat wählte. Von dort schaffte er es mit Präzision sowie Ecken und Kanten seine Bildsprache zu meiseln, welche die Modefotografie ähnlich revolutionierte.
L'Officiel Austria hat mit Kuratorin Evelyn Benesch über die Ausstellung "Helmut Newton Legacy" gesprochen, die am 19. Oktober 2022 im Kunstforum Wien eröffnet wird.
Helmut Newton sagte einmal: "The term 'political correctness' has always appalled me, reminding me of Orwell's 'Thought Police' and fascist regimes." Damit eckt er mit dieser Aussage damals wie heute an. Ist deswegen Helmut Newton's Werk im heutigen Kontext immer noch radikal?
Mit seiner Aussage zu political correctness würde Newton sich heute keine Freunde machen – allerdings ist seine Arbeit nicht deswegen radikal, sondern wegen ihrer Bildsprache: Newton ist in erster Linie Modefotograf. Er fotografiert aber nicht nur Mode, sondern kreiert Ambiente, erzählt mit den Modellen eine Geschichte. In dieser Geschichte sind zumeist Frauen die Hauptdarstellerinnen, auch in aufreizenden - nie expliziten - Posen. Oft provoziert und irritiert er das Publikum mit seinen Bildern – und fasziniert es gleichzeitig. Das gilt für die 1970er Jahre genauso wie für 2022. Allerdings ist uns klar, dass wir gerade heute gesellschaftliche Entwicklungen zu bedenken haben, die Bildsprachen im historischen Kontext nicht berücksichtigen. Diese Ausstellung ist für uns ein Anlass, uns damit auseinander zu setzen."
Die unkonventionellen Twists in seiner Bildsprache gelten als bahnbrechend. Besucher:innen werden in Sekundenbruchteilen in den Sog seiner Fotos gezogen. Gibt es eine "Newton-Formel"?
Evelyn Benesch: "Newtons Fotos sind ungemein präzise komponiert, jedes Detail genau ausgeleuchtet, die Position(en) der Protagonisten punktgenau festgelegt. Das vorherrschende schwarz-weiß in Newtons Fotos unterstützt die scharfen Kontraste von Licht und Schatten. Newton arbeitet gerne mit Diagonalen – seit jeher ein Kompositionsmittel, um den Blick des Betrachters in die Tiefe des Bildes zu ziehen. Newton hat bei seinen Fotos erstmals Storytelling eingesetzt, oftmals muss – vor allem bei Modefotos – dem Kern erst nachgespürt werden; er innerhalb einer Geschichte, die Newton in nur einem Foto erzählt, gefunden werden."
Nach welchen Gesichtspunkten wurde für das Kunstforum Wien die Werke ausgewählt? Auf welche Ikonen der Newton'schen Fotografie darf man sich freuen?
Evelyn Benesch: "Helmut Newton Legacy feiert den 100. Geburtstag des Fotografen. Zusammengestellt in der Helmut Newton Foundation in Berlin soll die Ausstellung dem Erbe des Fotografen, seiner Legacy gerecht werden – und zeigt demgemäß Hauptwerke aus allen Gattungen und von den 1950er Jahren an bis zur Jahrtausendwende. Zu nennen sind etwa die legendären Aufnahmen für Courrèges von 1964, die den Umschwung in der Modefotografie einläuten, das ikonische Diptychon der Rue Aubriot von 1975, die Big Nudes von 1981, ein großes Diptychon der Serie Naked and Dressed, Portraits von David Bowie, Elizabeth Taylor, Romy Schneider, Mick Jagger, ... die wunderbare Referenz an Pina Bauschs Ballett Keuschheitslegende, Modeshots für Prada, Bulgari, Thierry Mugler und natürlich Karl Lagerfeld – und, und, und ..."
Helmut Newton ließ seine Models in extrem femininen Stylings oft maskuline Posen einnehmen. Bestand darin die Polarisierung, die seine Fotos bei ihrer Veröffentlichung hervorriefen und die neben Begeisterung auch Sexualisierungskritik ernteten?
Evelyn Benesch: "Newtons Frauen sind durchwegs eigenbestimmt – sie sind mächtig, dominant, nicht immer liebenswert und weiblichkeitsbetont, wie es in der Modefotografie bis dato üblich war. Sie bewegen sich auf der Straße, in eleganten Wohnungen, Stunden- oder Luxushotels. Das sind Rollenbilder, die gemeinhin mit der Präsentation eleganter Mode oder Juwelen nichts zu tun hatten. Dennoch: Kritik an Newtons Darstellung der Frau gab es immer. Die prominenteste ist die der amerikanischen Kulturwissenschaftlerin Susan Sonntag, die Newton 1979 in einer Talk-Show Sexismus und Frauenfeindlichkeit vorwarf und seine Fantasien als monströs klassifizierte."
Helmut Newton hat 1992 mit dem Polaroid Projekt "Pola Woman" eine komplett neue Richtung eingeschlagen und die Sofortbildkamera zum neuen Mittel seiner Kunst erkoren. Wäre er heute Smartphone-Fotograf, wie etwa Jahrhundertkünstler David Hockney hochbetagt gerade zum Touchstift greift und digitale Kunst am Tablet realisiert?
Evelyn Benesch: "Können wir diese Frage überhaupt beantworten? Newton ist immerhin schon fast 20 Jahre tot ... Das Polaroid wurde seit jeher als vorbereitende Studie und eigenständiges Medium eingesetzt. Newton verwendete es seit den 1970er Jahren: als Ideenskizze, aber auch um eine Komposition oder eine Lichtsituation festhalten – um, wie er selbst sagte, sein ungeduldiges Verlangen, sofort wissen zu wollen, wie die von ihm fotografierte Situation als Bild aussah, zu befriedigen Bemerkenswert ist doch, dass er mit Pola Women 1992 ausschließlich Polaroids veröffentlichte – wie der Einblick in ein Skizzenbuch. Alles das können Handy-Fotos auch – sie sind spontan und schnell. Aber eben 'nur' digital und nicht haptisch. Prinzipiell können wir uns Newton als Smartphone-Fotograf vorstellen. Ob er die Fotos allerdings später digital retuschiert, mittels Photoshop verändert hätte? Wahrscheinlich nein: Newton hat zwar seine Shots sehr genau vorbereitet – allerdings nach der Aufnahme nie mehr retuschiert - was ja bereits in der analogen Fotografie möglich war."