Art & Culture

Pinsel-Poesie: Daniel Domigs Exkurse über die Schönheit

Daniel Domigs Werke sind großformatig, farbintensiv und dynamisch. Im Zentrum seiner Sujets sind oft menschliche Körper, die es dem Betrachter ermöglichen, ein Gedankenspiel – und im Idealfall ein freies Zwiegespräch mit den Bildern – zu beginnen.
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An jenem Morgen, als L’Officiel Austria Daniel Domig traf, zeigte das Thermometer bereits hochsommerliche Temperaturen. Treffpunkt ist sein Atelier. „Jeder wurde für eine bestimmte Arbeit gemacht, und das Verlangen für diese Arbeit wurde in sein Herz eingesetzt“ – jenes Zitat von Rumi schießt einem wie ein Gedanken-blitz durch den Kopf, wenn man sich in diesem Atelier aufhält. Überall finden sich Werkzeuge und Spuren von jemandem, der sich seiner Arbeit erdverbunden hin-gibt. Die Luft in den Räumlichkeiten riecht schwer abgrenzbar und naturbelassen. „Hasenhaut-Leim“, entgegnet Domig lässig in Richtung ratloser Nasenlöcher. Nach einem kurzen Vortrag über die Historie und Vorzüge des besagten Bindematerials stürzen wir uns in den morgendlichen Trubel des siebenten Gemeindebezirks in Wien, um das Gespräch in einem Café fortzusetzen. Seine Fundamente.

Als wir Daniel Domig fragen, was ihm den Weg zur Malerei geebnet hat, erfahren wir, dass ihn sein binationales Elternhaus auf eher diskrete Art und Weise dahin geführt hat. „Mein familiärer Hintergrund hat eine Spannbreite an Optionen zur Verfügung gestellt, da war es gar nicht abwegig, den künstlerischen Beruf zu wählen.“ Geboren in Vancouver, Kanada, als Sohn einer amerikanischen Mutter aus Illinois und einem österreichischen Vater aus Vorarlberg, lernte er früh, sich in kontrastreichen Milieus zu bewegen und die Spannungen dazwischen auszuhalten.

 

Obwohl beide Elternteile beruflich im therapeutischen Umfeld tätig sind, liefert genau dieses Detail einen entscheidenden Beitrag dazu, was Domig in seinen Werken transponieren möchte. „Es gibt eine psychologische Ebene bei meinen Bildern. Dabei geht es nicht nur um saubere Oberflächen, sondern auch um die Schönheit der Komplexität. Genau das macht auch eine gute Therapie aus: das Sichtbarmachen von Bruchstellen.“ Seiner Ansicht nach ist der Aspekt der Freilegung von Bruchstellen, die bestenfalls zu einer Heilung führen können, auch in der Kunst zu finden, nämlich als Spannung zwischen der Zerstörung und Schönheit.

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"Schönheit in der Kunst hat die Aufgabe, Dinge aufzuzeigen, die uns nicht auffallen!"

Exkurs Schönheit
Zumal er das Wort Schönheit erwähnt, kommt er um die provokative Frage nicht herum, ob Kunst nur das Schöne darstellen muss? „In derKunst an sich sind wir davon abgekommen, nur klassische Formen der anatomischen Schönheit darzustellen. Man denke nur andie David-Skulptur von Michelangelo – völlig überzeichnet! Wir leben in einer Zeit, wodie gegenwärtigen Schönheitsideale hinterfragt werden“, bemerkt er. Dass eine Kate Winslet inzwischen nicht nur mit ihren Schauspielkünsten für Schlagzeilen sorgt, sondern auch mit ihren knallharten Verträgen, die das Retuschieren ihrer Bilder untersagen, ist auch dem Maler nicht entgangen. „Schönheit in der Kunst hat die Aufgabe, Dinge aufzuzeigen, denen wir versuchen, aus dem Weg zu gehen“, ergänzt Domig. 

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Seine Faibles
Doch zurück zu Daniel Domigs Schaffensprozess. „An Malerei fasziniert mich die Möglichkeit, dass man aus dem Moment des Nichtwissens oder der Abwesenheit startenkann.“ So kann es durchaus passieren, dass während eines Telefonats eine rudimentäre Skizze auf einem Post-it die Geburtsstundeeines weiteren Bildes markieren kann. An Konzepten hält er nicht fest, aber die Farbkombinationen hat er bereits im Kopf. Die figurativen Elemente, insbesondere inkomplette Figuren,die sich in einem Prozessstadium befinden, legen die Nähe zu Francis Bacon offen. Dennoch sind seine grundlegenden Inspirationsquellen nicht unter den Meistern der Malerei zu finden. „Den größten Einfluss auf meine Arbeit finde ich in der Literatur. Samuel Beckett hat einen sehr plastischen Umgang mit Sprache, der mir sehr zusagt“, so Domig. 

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Lege artis
Mittlerweile schaut Daniel Domig auf fast zwei Jahrzehnte zurück, in denen er sich intensiv mit dem Medium der Malerei auseinandersetzt. Seine Bilder werden international präsentiert und befinden sich weltweit in privaten Sammlungen. Sein aktuellster Bilderzyklus mit dem appellativen Titel „Teach us to sit still“, ein Auszug, bei dem er sich aus einem lyrischen Werk von T. S. Eliot bedient, schmückt zum Zeitpunkt unseres Treffens die Wände einer Galerie in Sydney. Die großformatigen Werke legen den Blick auf die Resonanz zwischen dem erzwungenen Stillhalten durch die globalen Lockdowns und der Menschen frei. „Der Gedanke des Ruhig-Sitzens suggeriert das Nichtstun, das in unserer heutigen Leistungsgesellschaft wenig Zuspruch erfährt, gibt der Künstler zu verstehen.

„Aber das Nichtstun ist gar nicht so einfach. Die, die es können, wachsen in anderen Bereichen weiter.“ Diese Chance hat Daniel Domig wahrgenommen. Er hat gelernt, Bilder auch dann abzuschließen, in Momenten, wo noch viele Unsicherheiten und Fragen da waren. Die Betrachter würden diese neue Qualität in seinem Arbeitsprozess schätzen. Da ist etwas nicht zu Ende gedacht, bewusst offen gelassen, nicht perfekt. „Wenn wir das in Ordnung finden, dann ist das auch als eine Art von weiterer Schönheit, zu akzeptieren, die uns das Leben zeigt“, findet Domig. Ein schöner Gedanke. 

Fotos: Daniel Domig, Brett East

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