Art & Culture

Damien Hirst: Des Widerspenstigen Zähmung

Provokant schön! In dieser – und nicht wie erwartet in umgekehrter Reihenfolge lässt sich die kommende Ausstellung von Damien Hirst umreißen. Statt in Formaldehyd versenkte Tierkadaver setzt das einstige Enfant terrible auf harmonische Kirschblüten und polarisiert damit in der Kunstwelt mehr denn je.
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Ein üppiger Park aus saftigem Grün, gestaltet von Lothar Baumgarten, umschließt jene kühne Glaskonstruktion von Architekt und PritzkerPreisträger Jean Nouvel, die aus einem Meer an mannigfaltigen Bäumen herauswächst und sich vor den Augen der Besucher aufbäumt. Seit 1994, zehn Jahre nach ihrer Gründung, ist die „Fondation Cartier pour l’Art Contemporain“ an prominenter Stelle im 14. Pariser Arrondissement angesiedelt und zum Sammelpunkt für zeitgenössische Kunst und ihre Bewunderer avanciert. Künstler der Gegenwart sollen hier gefördert werden und in Dialog mit dem Publikum gebracht werden, so die Mission des Maisons. Für reichlich Gesprächsstoff dürfte auch der Künstler der aktuellen Ausstellung sorgen: Damien Hirst – Großmeister der Inszenierung und einer der wohl (einfluss-)reichsten Künstler der Gegenwart.

Popstar und Provokateur
Gefeiert und umstritten – der 56-jährige Brite sorgt für Kunst und Schlagzeilen wie am Fließband. Kaum verwunderlich, dass ein Künstler, der seinen Durchbruch einem in Formaldehyd konservierten Tigerhai („The Physical Impossibility of Death in the Mind of Someone Living” aus dem Jahr 1991) verdankt, auch gerne polarisiert. Und so finden sich neben dem wiederkehrenden Motiv von Tod und Vergänglichkeit und etlichen weiteren Tierkörpern – im Ganzen (beispielsweise „The Incredible Journey“ aus 2008) oder auch in der Mitte halbiert (etwa das mit dem „Turner Prize“ ausgezeichnete Werk „Mother and Child, Divided“ aus 1993) – eine Vielzahl an Werken, die weit über die Kunstwelt hinaus Wellen geschlagen haben.

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Darunter etwa der Platin-Abguss eines Schädels, der mit 8601 Diamanten besetzt ist („For the Love of God“ aus 2007) und für 100 Millionen Dollar von einer Investment-Gruppe gekauft wurde, ein vergoldetes Mammut-Skelett, das selbst König Midas vor Neid erstarren lassen würde („Gone but not Forgotten“ aus dem Jahr 2014), oder penibel sortierte Pillen und medizinische Utensilien in einem Schaukasten („Naked“ aus dem Jahr 1994). „Ich möchte Kunst machen, die man nicht ignorieren kann“, heißt es von dem medienaffinen Künstler dazu in einem Interview.

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Die Ausstellung „Damien Hirst, Cherry Blossoms“ in der Pariser „Fondation Cartier“ ist noch bis zum 02. Januar 2022 zu sehen.

Kunst in der Krise
Da verwundert es so manchen, dass Hirsts jüngste Ausstellung, „Mental Escapology“, eine öffentliche Werkschau mit imposanten Skulpturen, in St. Moritz im Kanton Graubünden in der „Fondation Cartier“ eine gegenteilige Ästhetik versprüht. Kirschblüten sind das zentrale Motiv der großflächigen Ölbilder mit dickem Farbauftrag und expressiver Note, die so manchen durch ihre Technik an die Serie „Veil Paintings“ (2018) erinnern mag. Sie sind neben der Serie „Spin Art“ mit Werken wie „Beautiful Ray of Sunshine on a Rainy Day Painting” (1992) Indiz dafür, dass der Künstler sich nicht auf eine Disziplin oder einen Stil limitiert. Dennoch wirft es die Frage auf, ob das einstige Enfant terrible in der jüngsten Vergangenheit ein wenig an Biss verloren hat – auf den ersten Blick wirkt die Serie verdächtig harmonisch, gar lieblich. Bei genauerer Betrachtung lässt sich aber in der Blütenpracht ein klassisches Motiv hinter Hirsts Arbeit erkennen: „Bei den Kirschblüten geht es um Schönheit und Leben und Tod. Sie sind extrem – sie haben fast etwas Kitschiges an sich“, heißt es dazu von Hirst. Vielleicht haben auch die Arbeitsbedingungen der vergangenen Monate zu einem subtileren Ansatz geführt, schließlich wurde die Serie während des Lockdowns finalisiert. Eine Ausnahmesituation für den sonst so umtriebigen Künstler: „Ich bin zu einer isolierteren Kunstform zurückgekehrt. Während bei meiner Ausstellung in Venedig rund 200 Leute aus der ganzen Welt involviert gewesen sind, habe ich mich zu Beginn des Lockdowns alleine in meinem Studio wiedergefunden“, erklärt er in einem Interview. Auf sein Team zahlloser Kreativer (zu Hochzeiten angeblich bis zu 200), die Hirst sonst unter die Arme greifen, musste er also verzichten. „Das ist so wie damals, als ich angefangen habe.

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Die „Fondation Cartier“ ist in der Glaskonstruktion von Pritzker-Preisträger Jean Nouve untergebracht. Die Sammlung umfasst etwa 2000 Werke von 350 Kunstschaffenden.

Nur ich und ein Pinsel!“ Seine Arbeit sei auch, was ihm während der Lockdowns im Vereinigten Königreich geholfen habe, mit der veränderten Lage umzugehen. Von den Möglichkeiten abgesehen, dürfte Hirst aber mit der Serie erneut sein Marketing-Gespür unter Beweis stellen. Schon in der Vergangenheit erwies er sich als findiger Geschäftsmann und schaffte es so etwa mit dem Verkauf von rund 287 Kunstwerken, unter Umgehung seines Galeristen, noch kurz vor der Finanzkrise beträchtliche Ressourcen zu lukrieren. Von einem Erlös von rund 172 Millionen Dollar war damals die Rede. Rekordverdächtig sind auch die Verkaufszahlen seiner Kirschblüten-Serie: Alleine die rund 7481 Prints, jeder davon nummeriert und handsigniert, die zwischen 25. Februar und 3. März feilgeboten wurden, spülen knapp 22,5 Millionen Pfund in seine Kasse. Eine Randnotiz: Es wurden ebenfalls Kryptowährungen akzeptiert, die, wie es scheint, eine besondere Faszination auf Hirst ausüben und zu einem neuen Projekt animieren sollen. Aber zurück zu der Blütenpracht: 30 Werke der Serie, ausgewählt von Hervé Chandès und Damien Hirst, warten in der „Fondation Cartier“ ab sofort auf Besucher. Dort finden sie sich in bester Gesellschaft, denn die Sammlung umfasst rund 2000 Werke unterschiedlicher Disziplinen von 350 Kunstschaffenden aus aller Welt. Darunter: klingende Namen wie David Lynch oder Juergen Teller. Ob gezähmt oder nicht, Hirst wird in jedem Fall für einen Besucheransturm sorgen und polarisieren – das liegt vielleicht nicht in der Natur der Kirschblüte, aber in der des Künstlers.

Dieser Artikel ist in der Sommer-Ausgabe 2021 von L'OFFICIEL Austria erschienen.

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